: Man muß Verteidiger nicht lieben, aber ihnen zuhören -betr.: "Anwalt: Diese Zeugin ist doch hysterisch", taz vom 4.11.94
Betr.: "Anwalt: Diese Zeugin ist doch hysterisch“, taz vom 4.11.
Mag sein, daß eine derartige Überschrift für die Berichterstattung über ein Verfahren wg. Verdachts der Zuhälterei sich gut macht. Mann/frau muß die Verteidiger auch nicht lieben. Aber zuhören sollte Mann/frau: Der Verteidiger hat nicht verärgert dazwischengerufen, daß die Zeugin eine Show abziehe ... vielmehr hat er gesagt, daß die Zeugin seit Jahren der Prostitution nachgehe – auch jetzt noch – und ein Verhalten zeige, das das Gericht offenkundig in bestimmter Weise beeindrucken solle.
Die Zeugin hat in ihrer gesamten Aussage auch selber nicht den Zusammenhang zwischen der angeblichen Gewaltanwendung und der Prostitutionsausübung hergestellt, vielmehr hat sie immer wieder betont, daß sie den Angeklagten nicht habe verlassen können, weil sie u.a. geschlagen worden sei. Auch der gehörte Zeuge hat diesen Zusammenhang – jedenfalls nach seiner spontanen Erinnerung – nicht hergestellt.
Der abgelehnte Richter äußerte sich wörtlich: „Also, wir haben festgestellt, daß Sie von Hamburg nach Bremen geflohen sind.“ Festgestellt war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts. Feststellungen kann erst das gesamte Gericht in dem Urteil treffen.
Die Charakterisierung der Zeugin als hysterische Persönlichkeit entstammt einem ärztlichen Bericht, der Inhalt der Akten ist und in der Hauptverhandlung erörtert und vom Arzt bestätigt wurde. In dem Bericht heißt es: „Hysterische Pat. muß von der Polizei fixiert werden.“ Dieser Teil des ärztlichen Berichtes ist zitiert und vorgehalten worden. Mehr nicht.
Muß denn die Verteidigung in Verfahren, die derartige Vorwürfe zum Gegenstand haben, zu allem schweigen und bei der Vernehmung der Zeugin nur noch den Kopf einziehen und damit die Verteidigung aufgeben?
Wolfgang Müller-Siburg, Rechtsanwalt
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