Malaika RivuzumwamiDigital Naives: Boom in der Pandemie, Scheitern in Diversität
Die Gaming-Branche ist groß. Sehr groß. Und sie wächst, gerade in Zeiten von Corona. Aber wie sie tickt, weiß außerhalb eigentlich keiner. Und den meisten ist es egal. Hinter den Kulissen liegt derweil viel im Argen. Barrierefreiheit spielt kaum eine Rolle, diverse Charaktere, jenseits von Fabelwesen und anderen Fantasiefiguren, finden kaum ihren Platz, sexuelle Übergriffe hingegen sind immer wieder ein Thema. Gaming ist politisch. Auf der Gamescom ist von all dem nicht viel zu hören.
Eigentlich tummeln sich bis zu 500.000 Menschen vor den Messehallen in Köln, wenn die Crème de la Crème der Computer- und Videospielindustrie ihre neuesten Ideen präsentiert. Doch wie auch schon im vergangenen Jahr fand die diesjährige Gamescom in der vergangenen Woche ausschließlich digital statt. Der Branche kann das erst einmal egal sein, denn sie ist eine der glücklichen Gewinnerinnen der Pandemie. 30 Prozent Wachstum verzeichnete die Computerspielindustrie im Coronajahr 2020. Deutsche Spieler:innen geben für Spiele und alles, was dazu gehört, etwa 4,6 Milliarden Euro aus. Videospiele sind auch lange kein Trend mehr von pubertierenden Jugendlichen, die sich damit aus dem Kinderzimmer in andere Welten träumen. Denn laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom spielen vier von zehn Menschen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren Videospiele. 2020 war es lediglich ein Drittel.
Auch wenn nicht vor Ort, konnten die Fans in einem eigens aufgebauten Streaming-Studio gemeinsam spielen, kochen oder ein Fußballturnier veranstalten. Doch kommen wir zum wichtigsten Part, die neuen Spiele. Zur Eröffnung lud Spielejournalist Geoff Keighley zur zweistündigen „Opening Night Live“ ein und stellte ein Spiel nach dem anderen vor. Zwischen den lang ersehnten großen Titeln, wie „Halo Infinite“ und „Horizon Forbidden West“, bekamen auch kleine Spielemacher:innen die Chance, sich zu präsentieren. Doch es wird verhältnismäßig noch politischer: Für wenige Augenblicke kamen Menschen zu Wort, die über Diversität sprechen. Auch das Thema Barrierefreiheit wird angeschnitten, mehr Menschen Zugang zu Videospiele zu gewähren sei das Ziel. Nach den nur wenige Sekunden langen Einspielern läuft Werbung für Red Bull.
Auf den Dauerbrenner, eine neue Ausgabe von „Call of Duty“, haben sich die Fans besonderes gefreut. Schauspielerin Laura Bailey, die die Rolle einer Scharfschützin spricht, stellt das neue Spiel mit all seinen Details vor. Worüber sie natürlich nicht spricht, sind die erneuten Vorwürfe von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch bei Activision, dem Unternehmen, das jedes Jahr ein neues „Call of Duty“-Spiel veröffentlicht.
Es geht eben ums Verkaufen. Und solange sich immer mehr Menschen ohne jegliche Kritik in actionreiche neue Welten spielen wollen, wird die Industrie wichtigen gesellschaftlichen Themen weiterhin nicht mehr als ein paar wenige Sekunden vor der Werbepause einräumen.
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