Mais-Ernte in den USA: 100 Badewannen pro Hektar
Landwirtschaft im Großformat: Samuel Martin lebt im US-Bundesstaat Illinois von hochindustriellem Mais-Anbau. In diesem Herbst erntet er von einer Fläche so groß wie Sylt.
BEMENT/WATSEKA taz | Samuel Martin lässt den schweren Pick-up auf dem Grasstreifen neben dem Maisfeld ausrollen. Und wuchtet sich schwitzend heraus. Die Luft flirrt vor Hitze über den tausenden, wie mit dem Lineal gezogenen Reihen.
Der Farmmanager biegt die trockenen Stängel auseinander und stapft hinein. Er zählt die Körnerreihen, prüft die Größe. "Natürlich wirkt sich die Dürre in Russland auf mein Geschäft aus. Massiv", sagt er.
Martin, 54, ist ein massiger Mann mit rundem Gesicht. Mit seiner Firma Emerald Valley Farms bewirtschaftet er sieben Farmen in ganz Illinois, auf einer Fläche so groß wie die Insel Sylt. Nächste Woche will er die riesigen Drescher losschicken.
Produktion: Die USA sind der weltgrößte Maisproduzent und -exporteur. Im Jahr 2009 haben amerikanische Bauern nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums eine Rekordernte von 333 Millionen Tonnen Mais eingefahren, ein Großteil wurde im Mittleren Westen produziert. Die Anbaufläche war 32,2 Millionen Hektar groß. Für das aktuelle Erntejahr sagt die Behörde erneut einen leichten Anstieg der Produktion und der Anbaufläche voraus.
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Nutzung: Rund 40 Prozent der US-Maisernte werden für die Viehfutterproduktion verwendet. 10 Prozent nutzt die Nahrungsmittelindustrie. In andere Länder werden gut 15 Prozent exportiert. Mit 35 Prozent der Ernte wird Ethanol für Biosprit hergestellt - ein von der US-Regierung subventionierter Sektor, der stark gewachsen ist und die Nachfrage nach Mais steigen ließ. (us)
Hier im US-Bundesstaat Illinois wechseln sich gelbe Maisfelder mit sattgrünen Sojabohnenfeldern ab. Alle paar Kilometer tauchen riesige Stahlzylinder der Getreidesilos am Horizont auf. Illinois liegt im Mittleren Westen der USA, im Maisgürtel. Die Rekordhitze in Russland, die Ernteausfälle und das Exportverbot für Weizen, das Ministerpräsident Putin verhängt hat, sind hier gute Nachrichten. Sehr gute. Die Weizenpreise schießen auf dem Weltmarkt in die Höhe, die für Mais ziehen ebenfalls an.
Wie groß seine Ernte sein wird, weiß Martin noch nicht. "Ich kann das Wetter nicht an- oder abstellen. Drei Viertel meines Ertrages hängen von Faktoren ab, die ich nicht beeinflussen kann", sagt er. Von Schädlingen, von Pilzkrankheiten, selbst zu viel Regen kann schaden, weil er Jungpflanzen ertränkt. Auch industrialisierte Landwirtschaft bleibt zum Teil ein Lotteriespiel.
100 Badewannen Mais
Wenn alles gutgeht, fährt Martin 450 Scheffel auf jedem Hektar ein, das entspricht etwa 100 Badewannen voll mit Maiskörnern. Er bricht im Halbdunkel des Feldes einen Kolben ab und zeigt auf Ringe verschrumpelter und blasser Körner, die sich um die Frucht ziehen - ein paar Wochen extremer Trockenheit. Von einem Kolben kann Martin das ganze Jahr ablesen.
Die US-Landwirtschaftsbehörde sagt für dieses Jahr eine gute Maisernte voraus, doch Martin glaubt ihr nicht. "Nach der Aussaat hatten wir einen großartigen Start, im Mai und im Juni regnete es aber stark. Es gibt verdammt große Schwankungen auf den Feldern."
Anders gesagt: Flecken mit verkümmerten Pflanzen drücken den Schnitt. "Und diese Flecken sehen die Prüfer der Behörde nicht", sagt Martin. "Ich kenne die Jungs. Wenn es draußen wegen der Luftfeuchtigkeit gefühlte 48 Grad heiß ist, gehen sie nicht weiter in die Felder, als sie unbedingt müssen." Er klettert in den Pick-up, steckt sich eine Marlboro Menthol an und fährt langsam über die schmale, schnurgerade Asphaltstraße. Links Mais, rechts Sojabohnen, sonst nichts.
Auch Roy Huckabay ist an einem Spätsommertag im August in Illinois unterwegs, mit einer Hand steuert er seinen Chevrolet Truck, Modell Tahoe, über die Interstate 57 Richtung Süden. "Der Mais sieht gut aus in der Gegend hier, Gordy. Hochgewachsen, dicke Kolben, fast trocken. Der braucht noch zehn Tage, dann kann er runter." Huckabay, 62, ähnlich schwergewichtig wie der Farmer, Seitenscheitel und Brille, telefoniert über die Freisprecheinrichtung mit seinem Partner in Chicago.
Er arbeitet an der Chicago Mercantile Exchange, einer der weltgrößten Terminbörsen für Rohstoffe. Huckabay ist einer von drei Eigentümern der Linn Group, einem Handelsunternehmen, das Kunden berät und absichert, die Termingeschäfte tätigen wollen. Er hilft, Martins Mais zu verkaufen.
Huckabay kann stundenlang über Mais reden. Er weiß, wie viel Regen er braucht oder welchen Boden, wann die reifen Kolben im richtigen Winkel herabhängen oder dass Farmer gern Feldränder stark düngen, damit sie von der Straße aus gesund aussehen. Heute wird er Farmern und Silobetreibern, die Getreide aufkaufen, den Markt der nächsten Monate erklären. Langsam rollt er durch Bement, ein 1.800-Einwohner-Dorf mit kleinen Holzhäusern hinter sauber geschnittenen Rasenflächen. "Es ist immer schön, mit guten Nachrichten in so eine Runde zu kommen", sagt Huckabay und parkt vor der Stadthalle, einem Flachbau mit blinden Fenstern, von dem der Putz abblättert.
Drinnen sitzen knapp hundert Farmer vor Styroportellern mit Bohnen und Kartoffelsalat, viele karierte Hemden, sonnenverbrannte Gesichter, ergraute Haare. Es ist der Höhepunkt ihres jährlichen Treffens, zu dem der örtliche Silobetreiber einlädt. Huckabay redet langsam und zeigt mit einem Laserpointer durch den Raum auf seine Kurskurven und Statistiken. Der rote Punkt kreist auf der Schautafel. "Die große Überraschung, die auf uns zukommt, ist die anziehende Nachfrage nach Sojamehl."
Es ist wie Schach, Huckabay versucht, die Züge des Marktes zu berechnen: Weil Russland seinen Weizen für Brot braucht, muss es die Viehfutterproduktion herunterfahren. Weil russische Bauern Vieh schlachten müssen, wird der Weltmarkt in diesem Jahr mit Fleisch überschwemmt. Weil Russland deshalb 2011 Fleisch importieren wird, werden die Preise für Futterprodukte wie Sojabohnen oder Mais kräftig anziehen. Und die USA sind der größte Maisproduzent und -exporteur weltweit. Im Moment kostet das Scheffel an der Rohstoffbörse in Chicago knapp 4,20 Dollar, Huckabay hält 5 Dollar für möglich. Big money.
Die Landwirtschaft des Mittleren Westens ist hochindustrialisiert. Riesige Megafarmen produzieren genmodifizierten Mais oder Sojabohnen, die Ernten werden von drei, vier marktbeherrschenden Firmen aufgekauft. Das Land gehört Investmentfonds, Unternehmen oder Farmerfamilien, die selbst nicht mehr wirtschaften. Pächter erledigen die Farmarbeit. Und Manager wie Samuel Martin verwalten riesige Flächen, sie sind das Bindeglied zum Markt.
Der Arbeitstag von Roy Huckabay beginnt früh. Er steht um 3.45 Uhr auf, um 6.30 sitzt er in seinem Ledersessel im 12. Stock des massiven Granitbaus der Börse, die in Chicago einen ganzen Block einnimmt. Vor sich zwei Bildschirme mit Charts, Tabellen und Kurven. Eine Stunde später schickt er einen Newsletter an Kollegen und Kunden mit aktuellen Daten und Prognosen. Er hilft Farmmanagern wie Samuel Martin, zumindest einen Teil ihres Geschäfts berechenbarer zu machen, ihre Einnahmen. Seine Firma arbeitet jeden Monat mit einem Kapital von rund 150 Millionen Dollar, das die Kunden investieren. Sie ist ein kleiner Player.
Über vier Fünftel der Geschäfte an der Rohstoffbörse in Chicago werden elektronisch abgewickelt vor Bildschirmen. Die offene Plattform mit dem Geschrei und dem Gestikulieren der Händler wird immer unwichtiger. Huckabay hat in seiner Villa in einem Vorort von Chicago eine Kopie seines Büros eingerichtet, in dem er jederzeit eingreifen kann. "Meine Beziehung zu meinen Kunden ist sehr eng. Wenn ich nicht arbeite, fühle ich mich, als würde ich sie im Stich lassen. Genau das ist mein Problem. Es gibt Tage, an denen ich meinen Beruf hasse."
Auch Farmmanager Martin sitzt meist vor Bildschirmen. Sein Büro befindet sich in einem Klinkerbau 90 Meilen südlich von Chicago in Watseka. Das 5.700-Einwohner-Städtchen schmiegt sich an die Eisenbahngleise, die die Getreidesilos der Gegend miteinander verbinden. Im Diner an der Hauptstraße ziehen Rentner bei Kaffee über Obama her, neben dem Eingang liegt die Zeitung des Vereins "Guns save lifes" aus. Auch Martin steht vor 4 Uhr auf, Huckabays Newsletter blinkt morgens in seinem Postfach.
Es ist ein Lotteriespiel
Die hohen Weizenpreise nach Russlands Exportverbot helfen ihm kaum. Es ist wieder das Lotteriespiel. Winterweizen wird im September gesät, Mais und Sojabohnen werden im September geerntet. Diese reiften im vergangenen Jahr extrem spät. "Wir haben die Weizensaat einfach nicht rechtzeitig in den Boden bekommen", sagt Martin. Ausgerechnet in diesem Jahr hat er deshalb keinen einzigen Hektar Weizen draußen stehen. Auch die anziehenden Preise für Mais und Sojabohnen kann der Manager nur zum Teil mitnehmen. "Die Ernte 2010 ist jetzt schon Geschichte", sagt er. Obwohl die Drescher erst noch fahren.
Martin nimmt einen Stapel Statistiken von seinem schweren Holzschreibtisch und blättert, sein Finger fährt Datenreihen entlang, bis er die Tabelle mit den Verkäufen gefunden hat. "Im Moment habe ich 48 Prozent der aktuellen Maisernte verkauft und 55 Prozent der Sojabohnen."
Jeder Bauer sagte im Frühjahr das Gleiche. Kaum Weizen im Boden, dafür jede Menge Mais. Also besser früh verkaufen, weil die Preise durch das große Angebot fallen würden.
"Das war die einhellige Vermutung, als alle gepflanzt haben." Auch Martin hat früh verkauft, sicherheitshalber. Immerhin, für die andere Hälfte seiner Ernte wird er bessere Preise bekommen.
Alles hängt mit allem zusammen. Ob Südamerika eine fantastische Sojaernte einfährt, China Importe hochfährt, die US-Regierung hohe Maisüberhänge meldet, Frankreich Weizenausfälle vorhersagt oder eben Russland, all dies zeigt sich in den bunten Datenreihen auf Martins Bildschirm, die sich sekundenschnell ändern.
Und Martin reagiert wie ein Fondsmanager. Er verkauft Prozentsätze seiner Ernte ständig zu unterschiedlichen Preisen, um seinen Kunden am Ende des Geschäftsjahrs eine gute Rendite zu sichern. 625 Dollar Gewinn pro Hektar. Das ist seine Benchmark. "Das sind ungefähr 5 Prozent dessen, was ein Hektar Ackerland in der Gegend kostet. Wenn ich meinen Kunden sagen kann, hey, ich zahle euch jedes Jahr 5 Prozent eures Investments zurück, ist das für sie eine gute Anlage." Ackerland funktioniert für Investoren wie Aktien oder Fonds.
Martin ist konservativ, er verkauft lieber stetig im oberen Drittel der Preisspanne, statt auf die extremen Höhen zu warten: "Denn der Typ, der die ausrechnen kann, heißt Gott. Und wenn du dich mit ihm messen willst - viel Glück!"
Diese Tage sind wichtig für Martin. Jetzt entscheidet er, was auf welchem Feld gepflanzt wird. In dem Sitzungsraum neben seinem Büro hängen Satellitenbilder seiner Farms an der Wand, die riesigen Flächen sehen von weit oben wie ein Mosaik in dem Bundesstaat aus. Die typische Fruchtfolge in Illinois ist Soja in einem, Mais oder Weizen im nächsten Jahr.
Martin wird auf seinem Mosaik im nächsten Jahr mehr Weizen anbauen. 400 Hektar, das ist viel für ihn, normalerweise konzentriert er sich auf Mais und Sojabohnen. "Es sieht ja im Moment so aus, als könnte ich es zu einem profitablen Preis verkaufen."
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