Mainzer Erfolgsfußball: Romantik pur
Mainz siegt weiter und der Trainer schwärmt von Premier-League-würdigem Pressing. Doppel-Torschütze Lewis Holtby kann dabei vor Glück schon gar nicht mehr schlafen.
MAINZ taz | "1:22 h wie soll ich nach so einem geilen fußballabend schlafen; danke für euren support! …das märchen geht weiter in meeennzzzz!" Lewis Holtby konnte einfach nicht schlafen von Dienstag auf Mittwoch. Und weil der gewiefte Offensivspieler von Mainz 05 gerne in der digitalen Welt unterwegs ist, schickte er nach dem aufwühlenden 2:0 seiner Mannschaft gegen den 1. FC Köln zu nachtschlafender Zeit via Facebook noch Grüße an die Freunde des Tabellenführers der Fußball-Bundesliga. Schlafen nach so einem Spiel? Das geht nicht. Nicht für einen wie Holtby.
Und wer weiß, vielleicht hat auch U21-Nationaltrainer Rainer Adrion nach diesem großartigen Fußballspiel kein Auge zugetan. Als Lewis Holtby acht Minuten nach seiner Einwechslung per Kopf das 1:0 für die Rheinhessen markierte, stand auch Adrion auf der Tribüne im Stadion am Bruchweg neben völlig ekstatischen Mainzer Fans und schüttelte lachend den Kopf. Von seinen Lippen war zu lesen: "Wahnsinn." Wahnsinn also. Das sagen viele, wenn es darum geht, zu beschreiben, was da bei diesen Mainzern gerade abgeht: Fünf Ligaspiele, fünf Siege, Platz eins und eine Stimmung im Verein und im Stadion, um die sie viele andere Profiklubs beneiden.
Die Mannschaft von Mainz 05 spielt so Fußball, wie Fußballromantiker sich das Spiel noch immer in England vorstellen. Und so wie es ihr Trainer Thomas Tuchel will: "Es geht nicht darum, hinterherzulaufen, es geht um die Qualität der Laufwege. Das hat die Mannschaft großartig umgesetzt heute. Sie haben die Kölner vor sich her getrieben. Unser Pressing war Premier-League-würdig." Auch Tuchel ist ein Fußballromantiker. "Wir wollen mit englischer Stimmung und Power Fußball spielen. Den Ball nach der Balleroberung mit Flachpässen und Speed nach vorne tragen. Dafür steht Mainz 05." Und damit es auch ja niemand vergisst, stellte Mittelfeldspieler Eugen Polanski klar: "Wir laufen die Gegner ja nicht nur zu Tode - wir spielen ja auch Fußball."
Sie erfinden das Spiel nicht neu in Mainz, sie ziehen einfach nur ihr Ding durch. "Die zweite Saison nach dem Aufstieg ist die schwerste"; "Never change a winning team" - von solchen alten Fußballsprüchen hält Tuchel nichts. Er sagt: "Man darf nicht alles glauben, was an Halbwahrheiten so unterwegs ist." In Mainz läuft ja alles noch besser als im Aufstiegsjahr und Tuchel verändert die Startaufstellung seiner siegenden Mannschaft von Spieltag zu Spieltag. Der Qualität tut dies keinen Abbruch, weil der Kader mittlerweile auf hohem Niveau ausgeglichen ist. Und weil Tuchel es versteht, jedem Spieler im Kader das Gefühl zu vermitteln, gebraucht zu werden. "Ich stelle die Spieler ja nicht deshalb nicht auf, weil ich ihnen wehtun will. Jedes Spiel stellt neue Anforderungen und Aufgaben an die Mannschaft und danach stelle ich die Spieler auf. Gegen Köln wollte ich viele Spieler auf dem Platz haben, die wissen, wie wir unsere Heimspiele angehen. Deshalb hat Andi gespielt."
Der "Andi" heißt mit Nachnamen Ivanschitz und man hätte annehmen können, er sei in den letzten Wochen sauer gewesen, vor dem Kölner Spiel stand er nie in der Anfangsformation. Ivanschitz aber sagte: "Der Trainer hat mich im Training immer motiviert und mir gesagt: Irgendwann kommt der Moment. Heute hat er mir vertraut, und ich habe es zurückgezahlt." Vier neue Startspieler im Vergleich zum Spiel gegen Lautern in Bremen, vier Neue gegen Köln im Vergleich zu der Partie in Bremen - wer nicht moderieren kann und nicht gewinnt, kann da leicht ein Problem kriegen. Tuchel interessieren solche Gedanken nicht, er macht, was er für richtig hält.
Auch Lewis Holtby, zuletzt überragend, saß gegen Köln zunächst auf der Bank. Doch als ihm Tuchel in der 64. Minute das Zeichen zur Einwechslung gab, kam Holtby im Vollsprint vom Warmmachen zur Trainerbank. "Ich war nicht traurig, dass ich nicht zum Einsatz kam. Die Pause hat mir gut getan", sagte er hinterher. Die Vorfreude auf das Bayern-Spiel, wo er wieder von Beginn an zum Einsatz kommen könnte, kann sich der strategisch veranlagte Dribbler nicht verkneifen. Direkt nach dem Triumph gegen Köln sagte er: "Ich wünschte mir nur, dass es schon Samstag wäre. Ich bin total heiß auf die Bayern."
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