Mainz mit erstem Auswärtssieg: Viel Zuwendung für einen Zaundürren
Nach dem 3:2 in Bochum findet sich der FSV Mainz 05 plötzlich in der Bundesliga-Spitze wieder - dank des 18-jährigen Fastnichtmehr-Amateurs André Schürrle.
Viel Zuwendung für einen Zaundürren
BOCHUM taz | Beim gemeinsamen Frühstück vor dem Spiel hatte André Schürrle noch ein paar Zeilen über den Nachmittagsgegner VfL Bochum gelesen, damit war dieser Teil der Spielvorbereitung aber auch schon erledigt. "Nur in der Zeitung" habe er davon erfahren, dass der aufgebrachte VfL-Anhang eine - in Anlehnung an das Gründungsjahr des Vereins - 18 Minuten und 48 Sekunden lange Schweigeaktion plante. "Auf dem Platz", erzählte der zaundürre Schürrle später jedoch, "habe ich dann nichts gemerkt." Denn: "So etwas geht an mir vorbei."
Fürchterlich beeindruckend war der seltsame Protest in der nur zur Hälfte gefüllten VfL-Arena aber auch nicht gewesen. Im Gegensatz zum Auftritt des gerade mal 18-jährigen André Schürrle. Schon in der schwachen ersten Hälfte des FSV Mainz 05 war der gebürtige Ludwigshafener derjenige, der im rechten Mittelfeld für die extrem seltenen Lichtblicke der Gäste sorgte - und nach der Pause wurde er gar zum Mann des Tages. Mit seinen ersten beiden Treffern in der Bundesliga schoss Schürrle den Aufsteiger da von einem 1:2-Rückstand zu einem 3:2-Sieg und stammelte hernach glücklich: "Plötzlich haben die Fans meinen Namen geschrien. Ein unglaubliches Gefühl, da fehlen mir eigentlich die Worte."
Deutlich lässiger ging der blonde Kerl, der noch bei seiner Mutter Luise in Ludwigshafen wohnt, mit dem Ausblick auf den Profivertrag um, den er aller Voraussicht nach in dieser Woche beim FSV unterschreiben wird. In der vergangenen Woche hatte ihm Christian Heidel bereits ein entsprechendes Angebot unterbreitet. "Das war wohl das Doping, das er noch gebraucht hat", vermutete der Manager nach dem ersten Auswärtssieg der Mainzer grinsend. Während der Gedopte die Angelegenheit locker kommentierte: "Es gab schon die ersten Gespräche."
Mit dem neuen Cheftrainer Thomas Tuchel war Schürrle Ende Juni noch Deutscher A-Jugendmeister geworden, nun sind die beiden Herren wichtige Bestandteile des rasanten Saisonstarts des Aufsteigers. "Sechs Spiele, elf Punkte - der Blick auf die Tabelle geht runter wie Öl. Aber anders als die Fans in Bochum bleiben wir realistisch", kündigt Manager Heidel vorsichtshalber schon einmal an.
Der Coach betrachtet die Dinge ähnlich, scheute sich aber nicht, prinzipielle Fortschritte seines Teams zu loben. Immerhin hatte Tuchel miterlebt, wie das FSV-Personal seinen "sehr eindringlichen" Halbzeitappell für mehr Mut und gegen die grassierende Passivität im Team nach Wiederbeginn eins zu eins umsetzte. "Die Maßnahmen in der Pause haben gegriffen", befand Heidel - und Trainer Tuchel machte einen Strich unter das erste Sechstel der Saison. "Ich habe nie gesagt, dass wir die Kleinen sind", betonte der 36-Jährige, ehe er ergänzte: "Im eigenen Stadion haben wir bereits namhafte Gegner geschlagen, jetzt haben wir auch auswärts einen Schritt nach vorne gemacht."
Den Sieg beim zunehmend verwirrten Revierklub bezeichnete Tuchel als "eine wirklich schöne Geschichte" - die den Mainzern nach Ansicht von Schürrle nun ein Fundament für weitere Überraschungen bietet: "Wir wissen diese elf Punkte zwar gut einzuschätzen, aber entschuldigen müssen wir uns nicht dafür. Wenn wir weiter hart arbeiten, dann gibt es auch noch mehr Punkte."
Seinen erfahrenen Mitspielern, die "ganz viel" mit ihm "reden", dankt Schürrle "eigentlich täglich" für ihre intensive Zuwendung - und Tuchel dankt dem jungen Mann für seine Aufnahmebereitschaft. "Gegen Berlin war er zuletzt nicht so gut, deshalb habe ich ihn jetzt in die Verantwortung genommen", erzählt der FSV-Coach, der von Schürrle weiß, "dass er viel laufen kann, wendig und torgefährlich ist". Auch Heidel sind diese Fähigkeiten des Fachabiturienten bekannt, der Manager weiß aber noch etwas anderes über André Schürrle: "Er ist den Idealweg gegangen - und hat die Amateure einfach übersprungen."
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