: Magdeburger Halbzeitbilanz nach nur 99 Tagen
■ Nach den Parteitagen weht dem Kurzzeit-Regierungschef der Wind schärfer ins Gesicht
Magdeburg (taz) – Schon nach 99 Tagen im Amt feierte Sachsen- Anhalts Ministerpräsident Christoph Bergner sein Bergfest. Kaffee und Alkoholfreies gab's zur Halbzeitbilanz, der Sekt blieb in der Flasche. Der Regierungschef, dessen Aufgabe eigentlich nur in der Abwicklung der CDU/FDP- Regierung bis zum vorzeitigen Ende der Legislaturperiode besteht, hat allen Grund, den letzten Tagen seiner Regentschaft nicht ohne Sorgen entgegenzusehen.
Nach den Listenparteitagen von CDU und FDP dürften die Koalitionsmehrheiten unsicherer werden. Sowohl bei den Christdemokraten als auch bei den Liberalen sind zahlreiche Abgeordnete, die jetzt noch Sitz, Stimme und Diäten im Magdeburger Landtag haben, nach hinten durchgereicht worden und – wenn überhaupt – auf völlig aussichtslosen Listenplätzen gelandet. Sie könnten sich revanchieren, indem sie mit Verweigerung ihrer Stimme die Koalitionsmehrheit in Frage stellen.
Dennoch glaubt Bergner nicht an gravierende Abstimmungsniederlagen seiner Regierung bei wichtigen noch anstehenden Gesetzesvorhaben. „Was auf den kommenden Landtagssitzungen noch ansteht, dürfte bis in die Opposition hinein konsens- und damit mehrheitsfähig sein“, spricht sich der Übergangs-Regierungschef trotzig Mut zu. Lediglich bei gewissen Initiativanträgen könnten die Mehrheiten im Landtag „bunter werden“, gibt Bergner zu.
Einen ersten Geschmack darüber, wie solch „buntere Mehrheiten“ aussehen könnten, erhielt Bergner bereits gestern bei dem gescheiterten Versuch des Landtages, einen politischen Schlußstrich unter die Gehälteraffäre zu ziehen. Der Abschlußbericht nach den Untersuchungen des Finanzausschusses zum Hintergrund der Gehaltsüberzahlungen an Ex-Ministerpräsident Werner Münch und drei seiner fünf Westminister sowie an die Staatssekretäre trug noch eindeutig die Handschrift der Koalitionsmehrheit. Die Rechtslage sei interpretations- und auslegungsfähig, hieß es in der Beschlußvorlage des Finanzausschuses für das Plenum. Mit einer solchen Formulierung wären die ehemaligen Regierungsmitglieder zumindest von dem Makel gereinigt gewesen, sie hätten sich wissentlich und vorsätzlich mit falschen Angaben über frühere Bruttovergütungen ungerechtfertigte Gehaltszuschüsse verschafft.
Die SPD-Opposition wollte sich mit einer solchen goldenen Brücke für die geschaßten Regierungsmitglieder denn auch nicht zufriedengeben und legte einen Änderungsantrag vor. Und einen der vier Punkte aus diesem Antrag bekam sie sogar durch. Mehrheitlich stimmten die Abgeordneten für die Formulierung, daß der Landtag es begrüße, daß die Regierung sich der Rechtsauffassung des Landesrechnungshofes angeschlossen habe, wonach die Gehaltszulagen eindeutig rechtswidrig gewesen seien. Außerdem sollte die Regierung mit dem so beschlossenen Änderungsantrag gezwungen werden, die anstehenden gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Ex-Ministern bis zum Ende durchzufechten.
Das hätte aber den Formulierungen der Koalition in der Beschlußvorlage des Ausschusses grundsätzlich widersprochen. Und weil die mehrheitlich beschlossene SPD-Änderung in die Formulierungen des Finanzausschusses mit eingearbeitet werden mußte, erteilte die Koalition letztlich ihrer eigenen Beschlußvorlage eine klare Absage.
Fraglich werden solche Mehrheiten aber schon bei der ebenfalls anstehenden Änderung des Abgeordnetengesetzes. Damit soll der Ruhegehaltsanspruch der derzeitigen Abgeordneten neu geregelt werden. Bislang gelten in Sachsen- Anhalt nämlich nicht nur die Grunddiäten der Abgeordneten, sondern auch Funktionszulagen als Fraktions-, Ausschuß- oder Arbeitskreisvorsitzende als ruhegehaltsfähig. Sprich: Obwohl ein Fraktionschef derzeit 100 Prozent Zuschlag auf seine Grunddiäten bekommt, soll dieser Zuschlag nicht in die Berechnung seines Ruhegehaltes als Abgeordneter einfließen. Zwar wurde der Gesetzentwurf zur Änderung am Mittwoch ohne kontroverse Debatte in die Ausschüsse überwiesen, ob er aber auch in der zweiten Lesung so ohne weiteres durchgeht, ist noch nicht sicher. Denn für zwei der derzeitigen Fraktionsvorsitzenden bedeutet diese Gesetzesänderung spürbare Einschnitte bei der zu erwartenden Abgeordnetenrente. Es bleibt deshalb fraglich, ob die Vorsitzende der „Deutschen Steuerzahler-Partei“ und der „Fraktion unabhängiger Abgeordneter“, Bärbel Ballhorn, und der derzeitige FDP-Vorsitzende Hans-Herbert Haase dieser Gesetzesänderung zustimmen werden.
Ballhorn tritt mit ihrer vom Bund der Steuerzahler recht mißtrauisch beäugten Exotenpartei zur Landtagswahl an, ist aber völlig chancenlos. Haase hat sich in weiser Voraussicht gar nicht mehr um einen Listenplatz bei der FDP beworben.
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