Magdeburg im Mittelalter: Die Stadt und der Dom
Die Ausstellung "Aufbruch in die Gotik" zeigt auf unterhaltsame Weise das intellektuelle Profil der städtischen Gesellschaft Magdeburgs im 13. Jahrhundert.
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Für die Geschichtspolitik des deutschen Nationalismus war Magdeburg ein Zentrum der "Ostkolonisation" und eine der Geburtsstätten des "deutschen Geistes". Man muss sich diesen Gebrauch der Geschichte in Erinnerung rufen, um den historischen Abstand zur heutigen Interpretation des Mittelalters und speziell der Rolle Magdeburgs zu ermessen. Die Ausstellung "Aufbruch in die Gotik 1209. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit" erlaubt uns, die Epoche des 13.Jahrhunderts mit unserem "postnationalen" Verständnis anzuschauen, sie uns näherzurücken, ohne ihre Fremdheit zu leugnen.
Die Magdeburger Ausstellung fasziniert aus zwei Gründen. Sie verbindet die Präsentation der Ausstellungsstücke im Kunsthistorischen Museum mit dem Magdeburger Dom selbst, den sichtbaren Phasen seiner Baugeschichte und mit seinen Kunstwerken. Wir pendeln zwischen Museum und Dom. Unsere sinnliche Anschauung des Dombaus wie des großartigen Skulpturenschmucks gewinnt an Tiefenschärfe.
Die Ausstellung selbst zeigt in ihren acht Abteilungen einen Kosmos des städtischen Hochmittelalters, der Religion, Kunst und Wissenschaften ebenso umgreift wie die politische Sphäre und das Alltagsleben. Eine Schau voller Überraschungen, die keinen Augenblick die Langeweile aufkommen lässt, die einen oft angesichts aufgehäufter Pretiosen überkommt.
Die Ausstellungsmacher betonen den revolutionären Charakter dieses ersten gotischen Kirchenbaus auf deutschem Boden. Eine neue Arbeitsteilung setzt sich durch. Es entstehen Bauhütten, die spezialisierte Handwerker auf Dauer vereinen. Die Ausstellung zeigt einige der wenigen erhaltenen Bauzeichnungen. Der Einfluss der französischen Gotik wird durch zwei feingearbeitete Köpfe hoher Kleriker aus der Reimser Werkstadt belegt. Demgegenüber zeigt das Modellfigürchen für eine der törichten Jungfrauen aus dem Ensemble der "klugen und törichten Jungfrauen" im Dom noch eine Art ländlicher Schlichtheit. Die wunderbaren Statuen der Ekklesia und der Synagoge im Dom, die die Jungfrauen ursprünglich flankierten, hätten allerdings in der Ausstellung wie in dem hervorragenden Essayband eine genauere Behandlung und Einordnung verdient. Ekklesia triumphiert in Magdeburg, aber die Synagoge, die mit einer Binde, also blind, dargestellt wird und deren Händen die biblischen Gesetzestafeln entgleiten, erscheint dennoch als würdevolle Figur, die eher Mitgefühl als Hass weckt. Dies wird sich ändern angesichts der Krisen des 14. Jahrhunderts. In der Darstellung der "Judensau", auch sie im Magdeburger Dom vorhanden, findet das seinen abscheulichen Ausdruck. Doch darüber schweigt die Ausstellung.
Einst gebot Magdeburg über einen riesigen Domschatz, der nach der Reformation in alle Winde zerstreut wurde. Als besonders wertvoll galten die Reliquien der Heiligen, die reichlich mit Gold und Edelsteinen verziert wurden. Reliquien zu besitzen verhalf im Mittelalter zu enormem Prestige. Dem Reliqientourismus stand nur ein begrenztes Angebot gegenüber. Während es ursprünglich als frevelhaft galt, den Körper des Heiligen zu zerteilen, setzte sich schließlich die Linie "pars pro toto" durch. Weswegen wir in Magdeburg die kostbar eingekleidete Fingerreliquie des heiligen Jakobus bewundern.
Magdeburg, eine der größten Städte des Heiligen Römischen Reiches, leistete im 13. Jahrhundert Bedeutendes in den Künsten der Buchmalerei, des Textkopierens, der Goldschmiedekunst und des Bronzegusses. Prachtvolle, dem Gottesdienst dienende Bücher sind mit ganzseitigen Illustrationen vertreten. Sie mahnen zur frommen Einkehr, sind aber auch manchmal amüsant. So im Werk "Der welsche Gast". Hier sehen wir, quasi als Randglosse, die verderblichen Folgen blinder Liebe und wie man sich vor ihr schützen kann.
Die Ausstellung präsentiert den Aufschwung der Wissenschaften im 13. Jahrhundert, die Universitätsgründungen, die rasch um sich greifende rationale Denkungsart. Die Scholastik des 13. Jahrhunderts wird im Rahmen dieser historischen Strömung gesehen und keineswegs als dürres, dogmatisches Zitatengeklapper.
Es finden sich eine große Reihe von philosophischen, politischen und juristischen Handschriften. Unter ihnen die Heidelberger Ausgabe des Sachsenspiegels, einer durchgehend illustrierten Sammlung deutschen Gewohnheitsrechts. Der Begleittext der Ausstellung spricht von der Tendenz zur Verrechtlichung und Verschriftlichung. Die Ausstellungsmacher gebrauchen, einen Anachronismus bewusst in Kauf nehmend, den Begriff der "Wissensgesellschaft" des 13. Jahrhunderts. Indem sie diesen Begriff entfalten, gelingt es ihnen, das intellektuelle Profil der städtischen Gesellschaft des 13. Jahrhunderts unseren heutigen Problemen anzunähern.
Magdeburg hatte eine starke, selbstbewusste Bürgerschaft, die allerdings - im Gegensatz zu Köln - ihren Erzbischof nicht dauerhaft aus den Mauern der Stadt verjagen konnte. Das Magdeburger Stadtrecht hatte großen Einfluss auf die städtischen Verfassungen Mittel- und Ostmitteleuropas. Es galt als Ausweis städtischer Selbstverwaltung. Die Ausstellung versammelt reiche Produkte des Kunsthandwerks für den Gebrauch des Patriziats, beispielsweise die seltsamen Messer mit einem Griff in Menschengestalt. Auch des "gemeinen Mannes" mit seinen Bedürfnissen und Begehrlichkeiten wurde gedacht. Das Würfelspiel war bis in die Reihen des Klerus überaus populär. Unter den Würfeln in der Ausstellung findet sich einer, der gleich mehrfach Sechsen zeigt.
Am Ausgang der Ausstellung hängt eine Weltkarte, die um 1300 entstandene Ebstorfer mappa mundi, ein Hauptwerk heilsgeschichtlicher Geografie, als Kopie des verlorenen Originals hergestellt aus Originalmaterialien. Magdeburg heißt "Maideburg c." und liegt, kaum sichtbar, links unten neben der eingerissenen Stelle.
Bis 6. Dezember im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, Katalog 69,90 Euro
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