Magazin bewertet Schulen: Noten - selbst für die Toiletten
Ein Magazin will Eltern mit einer Datenbank bei der Schulsuche helfen. Bildungsforscher finden die Idee richtig. Die GEW ist gegen Rankings.
Kein Detail wird ausgespart: Gibt es Seife und Handtücher? Wie beurteilen Sie den Zustand der Toiletten? Wie gesund sind die Pausensnacks? All dies sind Fragen aus einer deutschlandweiten Umfrage des Magazins Focus Schule. Neben Eltern werden auch Schüler, Lehrer und die Schulleitung zum Zustand ihrer Schulen befragt. So will das Magazin etwa von den Rektoren wissen, welchen Notenschnitt ihre Schüler beim Abschluss haben. Auch der Migrantenanteil interessiert das Münchner Magazin.
Aus Daten wie diesen ließe sich erstmals ein deutschlandweites Schulranking bilden. Eine Hitparade also, welche Schule top ist - und welche ein Flop. Genau dies, beteuert das Magazin, plane man allerdings nicht. Sondern lediglich die "detailreichste bundesweite Schuldatenbank" der Realschulen und Gymnasien. Am 17. Juni soll sie online gehen. "Eltern sollen so viel wie möglich über die Schulen in ihrer Umgebung erfahren", sagt Focus Schule-Chefredakteurin Gaby Miketta. Um so die richtige für ihr Kind zu finden. Eine Schule, an der altersgemischt unterrichtet wird, etwa. Oder eine mit Chinesisch als Fremdsprache. Noten soll es für die Schulen zwar in einzelnen Bereichen geben - eine Rangliste aber definitiv nicht.
Eine Idee, die der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sauer aufstößt. "Eine bundesweite Schuldatenbank gehört nicht in die Zuständigkeit eines kommerziellen Magazins", sagt GEW-Vizechefin Marianne Demmer. Damit setzt die Lehrergewerkschaft ihre ablehnende Haltung gegenüber Schulbewertungen fort, die sie auch gegenüber dem im April gestarteten Internetportal schulradar.de vertritt. Dort können Eltern anonym Schulen benoten. Für jedes Bundesland gibt es eine Schul-Top-Ten. "Die Schulen werden dadurch nicht besser, im Gegenteil: Bei den schwachen Schulen wird sogar eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt", befürchtet Marianne Demmer.
Die Aktion von Focus Schule hat die GEW sogar dazu veranlasst, bei der Kultusministerkonferenz zu intervenieren.Wie aus einem internen Schreiben hervorgeht, befanden Vertreter der Länder Ende April, dass Schulen einen Teil der Fragen nicht beantworten sollten, da sie "aus datenschutzrechtlichen Gründen" bedenklich seien.
Umso wichtiger für die Umfrage dürften deshalb die Einschätzungen der Eltern sein. Focus Schule hat sich den Bundeselternrat ins Boot geholt, dessen Vorsitzender Dieter Dornbusch auch das Anschreiben des Fragebogens mit unterschrieben hat. "Die Eltern können offen den Zustand der Schulen einsehen", sagt Dornbusch. "Was spricht dagegen?" Einiges, finden Kritiker unter den Eltern. Elternvertreter aus Bayern und Schleswig-Holstein fordern gar den Stopp der Kooperation, da das Magazin "nur seine Verkaufszahlen sieht".
Dabei halten Bildungsforscher Schulbewertungen prinzipiell für richtig. "Die Eltern haben ein Recht darauf, zu wissen, wie gut die Schule ist, auf die sie ihr Kind schicken", sagt Wilfried Bos, Leiter des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung. Und für vermeintlich schwache Schulen könnten Rankings auch eine Chance sein - um zu zeigen, dass sie besser sind als ihr Ruf.
Wolfgang Böttcher, Erziehungswissenschaftler an der Uni Münster, findet, dass sich Eltern zumindest über zentrale Kriterien wie die Zahl der Sitzenbleiber oder das Abschneiden der Schulen bei den Abschlussprüfungen informieren können sollten. "Das sollte man den Eltern nicht vorenthalten."
Bisher kommen allerdings nur die wenigsten Bundesländer dem Wunsch nach Transparenz nach. So veröffentlicht etwa Sachsen im Internet Porträts aller Schulen, inklusive Daten wie der durchschnittlichen Zahl der Schüler pro Computer.
Dass nun Internetportale und Magazine die bundesweite Schulbewertung übernehmen, hält Böttcher nicht nur für ein Versäumnis der Politik, sondern auch der Lehrergewerkschaften. "Es ist naiv zu glauben, Schulrankings verhindern zu können. Die Verbände hätten deshalb schon lange selber ein wissenschaftliches, transparentes Bewertungssystem entwickeln können."
Die GEW rät zum altmodischen Weg. "Eltern sollten sich die Schulen anschauen, mit ihren Kindern", sagt Demmer. Um dann zu entscheiden, welche Schule die beste ist - aus dem Bauch heraus. WOLF SCHMIDT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?