Mafia in Indien: Flashback in die 90er
Nach dem Mord an einem Kriminalreporter demonstrieren 500 Kollegen für eine lückenlose Aufklärung und hoffen, dass Mumbai nicht zurück in die Hände der Mafia fällt.
DELHI taz | Die Geschichte klingt wie aus einem Mumbai-Krimi. Vier Killer folgen dem Starreporter auf seinem Motorrad, feuern am hellichten Tag fünf Kugeln auf ihn ab. Minuten später wird Jyotirmoy Dey, Mumbais legendärer Kriminalreporter, von der Polizei tot aufgefunden. Er liegt leblos auf der Straße vor dem D-Mart Superstore - mitten in der Stadt der Milliardäre.
Das alles geschah wirklich - am vergangenen Samstag. Seither fragt sich Indien, ob die alten Zeiten zurückgekehrt sind, in denen in den dunklen Gassen hinter den Milliardärsvillen von Mumbai die Mafiabanden herrschten. Eigentlich sind das Geschichten aus den 90er Jahren. Und wer schrieb sie? Kein anderer als der Ermordete und sein Freund S. Hussain Zaidi, dem später mit dem preisgekrönt verfilmten Bestseller "Schwarzer Freitag" das Hauptwerk über die Mumbai-Mafia gelang.
Dey und Zaidi waren in den 90er Jahren eine Art Team, obwohl sie nie gemeinsam schrieben. Aber sie arbeiteten beide für den Indian Express, der damals das führende Blatt für investigativen Journalismus in Mumbai war. Zaidi hatte sich auf die Bande von Ibrahim Dawood spezialiert, heute einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Dey begleitete die Schwesterbande unter Chhota Rajan, die den Terrorismus nicht mitmachte. "Eigentlich hätte Dey damals sterben müssen", sagt heute ein Kriminalreporter aus Mumbai. "Seine Zeit war längst abgelaufen."
War die Ölmafia beteiligt?
Die Empörung ist dennoch groß. Im ganzen Land füllte der Mord an Dey die Titelseiten. Am Montag demonstrierten 500 Journalisten vor dem Regierungsgebäude des Ministerpräsidenten in Mumbai. Sie forderten eine unabhängige Untersuchung der Nationalen Kriminalpolizei, weil sie der Mumbaier Polizei nicht trauen. Klar ist wohl, dass die vier Motorradkiller im Auftrag handelten und selbst im Falle ihrer Festnahme kaum Aufschluss über den Hintergrund des Verbrechens geben können. Umso mehr Gerüchte gibt es: ob etwa die Ölmafia beteiligt sei, über die Dey gerade recherchierte. Oder ob ein Polizist der Übeltäter sei, dessen mutmaßliche Machenschaften mit Ibrahim Dawood in den 90er Jahren Dey in einem Buch veröffentlichen wollte.
Doch so richtig wollen Szenekenner den Gerüchten über einen Zusammenhang mit einer Recherche Deys nicht folgen. "Journalisten sterben in Indien nicht für ihre Geschichte", sagt Deeptiman Tiwary, der beim Lokalblatt Mumbai Mirror die Mafia-Berichterstattung verantwortet. "Diese Tat ist keine seltene Tat, es ist eine einzigartige Tat", sagt er. Deshalb sei für ihn eine persönliche Fehde als Motiv wahrscheinlicher.
Dafür spricht auch, dass die Zeit der großen Bandenkriege in Mumbai vorbei ist. Obwohl es heißt, dass sowohl Rajan wie Dawood noch leben. Auch soll es erst vor vier Wochen wieder ein tödliches Gefecht zwischen den Banden gegeben haben. Doch beherrschen solche Schießereien nicht mehr die Stadt. Verantwortlich ist eine seit zehn Jahren praktizierte Polizeistrategie, die nicht mehr auf Festnahmen, sondern auf (Notwehr-)Erschießungen der Mafiosi setzt. Denn nach Festnahmen kamen die Übeltäter immer wieder frei. Auch darüber hatte Dey berichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen