Märchenmix auf Arte: Dornröschen auf Abwegen
Wundersame Traumwelt: Prinzessin Anastasia bewegt sich in "Die schlafende Schöne" (Samstag, 22 Uhr, Arte) jenseits aller Rollenklischees in einer verwobenen Erzählung.
Fremde seien in diesem Land nicht geduldet. Barfuß schon gar nicht. Die kleine Prinzessin Anastasia hat es auf ihrer hundertjährigen Traumreise durch die verschiedensten Märchenregionen nicht ganz leicht, sieht sie sich doch permanent schauerlichsten Schwierigkeiten ausgesetzt.
Verglichen mit den Verhältnissen im Euroland, ist der Zwerg als Bahnwärter und Grenzposten in Personalunion allerdings einigermaßen freundlich und nachgiebig. Und mit dem nötigen Nachdruck werden der kleinen Dame stets doch all jene Wünsche erfüllt, die sie sich in ihren sturen Kopf gesetzt hat.
"Die schlafende Schöne" von Catherine Breillat, die auch den kontrovers diskutierten Film "Romance XXX" gemacht hat, kann in seiner Eigenwilligkeit da ohne Frage mit der Protagonistin mithalten. Die französische Produktion verknüpft fantasievolle Märchenelemente mit nüchternem Realismus und vermengt Hans-Christian Andersens Märchen "Die Schneekönigin" mit dem Stoff von Charles Perrault "Die schlafende Schöne im Wald", der von den Gebrüdern Grimm etwa hundert Jahr später in Dornröschen umgetauft wurde.
Bei ihrer Geburt wird Prinzessin Anastasia von einer bösen Frau verflucht und weil die drei guten Feen sich just in diesem Moment beim Nacktbaden vergnügen, können sie den Fluch im Nachhinein nur mehr leicht abmildern: 100 Jahre lang schlafen, statt kurz sterben. Soweit Dornröschen.
In ihrer wundersamen Traumwelt angelangt, wird das sechsjährige Mädchen (Carla Besaïnou) von der Eisenbahn zu ihrer neuen Gastfamilie gefahren, wo sie mit ihrem neuen Bruder Peter einen netten Spielkameraden und Freund findet. Bis die böse Schneekönigin alsbald das Familienidyll trübt und das Brüderlein erst ver-, dann entführt.
Auf ihrer langjährigen Mission durch das Schneeköniginmärchen stellt sich die kühne Principessa waghalsig ihrem Schicksal und gewinnt mit ihrer direkten Art selbst das Herz der verruchten Räubertochter. An das Ende ihrer Träume angelangt erwacht die nun Sechzehnjährige aus ihrem Wintermärchen, doch hat im Märchenschloss mittlerweile die Realität Einzug in die heile Welt gehalten.
"Möge der Kriechdrache in den Schwanz des geflügelten Drachen beißen!" Gelegentlich erscheint der Märchenmix ähnlich konfus, wie dieser Zauberspruch der skandinavischen Hexe mit peruanischer Touristenmütze. Als Ganzes jedoch formt die Regisseurin eine seltsam verwobene Erzählung zwischen Kindergeschichte, Beziehungsproblematik und Gesellschaftskritik, in der die Kontraste eine oft eigenartige, aber bewundernswert eigene Interpretation der beiden Stoffe bilden.
Als Kind verwehrt sich Anastasia der weiblichen Klischeerolle der lieblichen Prinzessin, trägt lieber Hosen als Kleider, kraxelt lieber auf Bäumen herum, als Ballett zu tanzen. Als Jugendliche erwacht sie voll kindlicher Naivität und wird aber schnell mit ihrer Sexualität konfrontiert und von der Bitterkeit des echten Lebens eingeholt. „Liebst du mich immer noch so wie zuvor?", fragt der Prinzgemahl. "Wie zuvor.", antwortet sie. "Nur, dass es jetzt danach ist."
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