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Märchenhafter Tanzfilm auf ArteIm Aralsee steppt der Faun

Mit "Ravel und Debussy tanzen" von Thierry De Mey unterstreicht Arte seinen Ruf als Heimatsender der europäischen Tanzszene (Montag, 21.35 Uhr).

Tanzen kann man überall! Sogar auf den Dächern von Brüssel. Bild: arte

Meine Schwester lebt auf dem Land. Wann immer wir telefonieren, erzählt sie von Tanzstücken und Choreografen, die sie beeindruckt haben. Sie bereist keine Festivals, sie fährt auch nicht in das Theater der nächstgelegenen Stadt. Sie guckt Arte.

Kein anderer Sender informiert so umfassend über die Tanzszene Europas und darüber hinaus. Ob von der Tanzbiennale in Lyon oder einem Hip-Hop-Festival aus einer Pariser Vorstadt, auf Arte sind Ausschnitte zu sehen und kurze Reportagen mindestens. Choreografen werden ausführlich porträtiert, wie Sidi Larbi Cherkouai, der mit seinem Stück "Babel" durch Europa tourt, oder auch der neue Leiter eines Tanzzentrums in Algerien. Zeigen Constanza Macras oder Sasha Waltz neue Choreografien, Arte ist dabei.

Daneben zeigt Arte auch Tanzfilme, deren Choreografien eigens für die Kamera entstanden sind. "Ravel und Debussy tanzen" von Thierry De Mey gehört in dieses Genre. Irgendwo zwischen einem Zauberwald von Shakespeare und einem Ort der Verwandlung aus Harry Potter scheint jener Märchenwald zu liegen, durch den Thierry De Mey 60 Tänzer zur Komposition "Ma mère l'oye" von Maurice Ravel streifen lässt. Der Wind und das Laub, Farnkraut und fließendes Wasser verbinden sich in diesem durch und durch romantischen Traum mit den Körpern der Tänzer. Silhouetten taumeln durch die Mondnacht, als stünde die Mutation zum Werwolf bevor, schüchtern und stolpernd kämpft sich ein Pan durch eine Senke, übermütig wie ein Hase springt ein Tänzer Salti.

Wenn sich Arme biegen wie die Halme hoher Gräser im Wind, wenn Hände aus Ästen sprießen wie hervortreibende Blätter und Naturgeräusche sich in die Musik mischen, dann ist das auch eine Referenz an die Entstehungszeit des Ausdruckstanzes zu Beginn der Moderne: Viele Fotografien aus den zwanziger und dreißiger Jahren zeigen die Tänzer, die den streng definierten Formen des Balletts davon liefen, in Wald und Wiese ihre Freiheit suchend. Thierry De Mey und seine Darsteller, die alle aus der reichen flämischen Tanzszene stammen, inszenieren hingegen nicht mehr den großen Aufbruch, sondern spielen mit diesen Formen wie mit der Erinnerung an eine glückliche Kindheit: Als noch so vieles möglich schien.

Auch für Debussys "Prélude à laprès midi dun faune" hat Thierry De Mey zusammen mit der Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker einen ganz besonderen Drehort gesucht und in Kasachstan gefunden, in der Wüste, die der versalzte Aralsee hinterlassen hat. Dort, wo nichts mehr zu leben scheint, entdeckt die Kamera den Faun: ein Wesen, das ganz langsam erwacht, zu sich selbst findet und in Selbstverliebtheit um sich kreist.

Er ist eine Jugendstilfigur, von ambivalenter und auch destruktiver Erotik; der Gegensatz zwischen dem hörbaren saftvollen Schwellen in der Musik und der Kargheit der Erde, die lange sein einziger Widerpart ist, verstärkt das ungezielte Lodern seiner Wünsche. Die Choreografie konzentriert sich ganz auf das Unwissende dieses Körpers und die allmähliche Entdeckung seiner selbst und Thierry De Mey stellt hier alle technischen Mittel von Schnitt und Kadrierung in den Dienst der berühmten Choreografin.

Der Tanzfilmer ist den Choreografen seit langem verbunden. Für Anne Teresa de Keersmaeker und Vim Vandekeybus, die beide das Wunder der flämischen Tanzszene in den achtziger Jahren mitbegründeten, hat er auch als Komponist gearbeitet. Wegen dieser großen Nähe zur Szene darf er sich wohl auch ein übermütiges Spiel mit ihren Erfindungen erlauben, das Bild in Split Screens teilen und spiegeln und illustrativer mit der Musik arbeiten, als es die Choreografen selber tun. Manchmal sind seine Filme eine Spur lieblicher als die Arbeiten für die Bühne, als glaube er den Tanz mit zusätzlichen Mitteln für ein großes Publikum schmackhaft machen zu müssen. Wenn er der Kunst so neue Fans gewinnt, sei's drum.

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1 Kommentar

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  • I
    Ich

    Das finde ich schön!