■ Abschiebung von Flüchtlingen: Märchenhafte Tricks
Eigentlich war es eine Geschichte, so recht geeignet für ein Weihnachtsmärchen, wobei selbst der Schurke vom Dienst plötzlich zum guten Weihnachtsmann wurde: Nach dem Friedensabkommen von Dayton, als die Ungewißheit über ihre Zukunft bei den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien für Unruhe und Angst sorgte, hatten Asylgruppen und Kirchen eine schnelle Verlängerung der Duldung gefordert. Dies vor allem, damit die Ungewißheit der Flüchtlinge nicht bis zum Treffen der Innenminister der Länder Ende Januar anhalten sollte. Und siehe, Innensenator Heckelmann (CDU) zeigte sich ungewohnt einsichtig und verlängerte. Die Asylgruppen waren zufrieden, und der Senat kassierte für das Vorpreschen sogar Schelte aus anderen Bundesländern. Soweit das Weihnachtsmärchen.
Einen Monat später sieht es ganz anders aus. Schriftlich wurde Flüchtlingen mitgeteilt, die Verlängerung der Duldung um sechs Monate sei eine letzte Frist vor der unverzüglichen Abschiebung. Damit konterkariert Berlin die Versprechungen von Bundesinnenminister Kanther an die UN, die Flüchtlinge sollten freiwillig ausreisen dürfen. Was als humanitäre Geste daherkam, entpuppt sich nun als Verwaltungstrick. Selbst wenn nämlich die Innenminister am kommenden Freitag beschlössen, die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht länger als bis Ende März zu dulden, hätten diese mindestens drei Monate Zeit, ihre Koffer zu packen. Den Flüchtlingen in Berlin bereits jetzt die Abschiebung nach Ablauf ihrer sechsmonatigen Frist anzudrohen, macht nur vier Wochen Unterschied, gibt der Innenverwaltung aber einen Rechtstitel an die Hand. Damit Märchen Bestand haben, bedarf es wohl immer noch der Gerichte. Das Verwaltungsgericht gestand gestern einer bosnischen Familie eine einjährige Aufenthaltsbefugnis zu. Das könnte der Anfang eines Happy- End sein. Wenn da nicht das Oberverwaltungsgericht wäre. Das hebt solche Urteile meist wieder auf. Gerd Nowakowski
Siehe auch Bericht Seite 23
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen