■ NOCH 3353 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: Madonnas Möpse
Wenn die Italiener ihre Verwunderung oder ihre Abscheu ausdrücken wollen, rufen sie gern: Madonna! Meist fügen sie dann noch ein schnelles di Campiglio an, um die frevelhafte Benennung der Mutter Gottes zu verharmlosen. Denn Madonna di Campiglio ist ein Wintersportort in den Dolomiten und somit zitierfähig. In Amerika sehen sie das nicht so eng. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist der Name der heiligen Frau längst zum Synonym für aufregende Erotik geworden.
Der Slogan der amerikanischen Werbefritzen lautet: „Egal was für ein Produkt es ist: Sex verkauft es!“ Eine, die für diesen Spruch den Beweis angetreten hat, ist die Pop-Sängerin Madonna Louise Ciccione. Sie ist zwar auch sehr religiös („Kruzifixe sind sexy, weil ein nackter Mann da drauf ist“) doch sie weiß ganz genau, warum sie es zur Multimillionärin gebracht hat: „Ich hätte keinen Erfolg, wenn ich nicht Sexsymbol wäre. Ich bin sexy, und ich kann es nicht vermeiden. Selbst mit einem Sack über Kopf und Körper bin ich noch sexy.“ Das ist schwer zu glauben. Aber die moderne Inkarnation des Sex hat sich gerade in ein anderes Tuch gehüllt und damit wieder für jede Menge Aufregung gesorgt. Drapiert in eine große amerikanische Fahne, unter der sie nur Slip und Büstenhalter sowie Armeestiefel trägt, tritt Madonna in einem neuen Werbespot auf, der vor allem Jugendliche dazu bewegen soll, bei den Kongreßwahlen im November ihrer Wahlpflicht nachzukommen. „Dr. King, Malcolm X. Redefreiheit ist so gut wie Sex“, heißt es in ihrem Rap-Text zur Melodie ihres letzten Hits Vogue. „Und wenn du nicht wählst, dann wird dir der Hintern versohlt“, verspricht sie. Zwei Tänzer demonstrieren auch sogleich diese Drohung anschaulich an der Sängerin.
Die 60 Sekunden lange Botschaft läuft seit einer Woche im Pop-Kanal MTV. Sie ist Teil der Kampagne „Rock to Vote“ der Schallplattenindustrie, die auf diese Weise mehr Jugendliche an die Wahlurnen bringen und gleichzeitig den zunehmenden Hang zur Zensur im Musikgeschäft bekämpfen will.
Empörung löste der Madonna- Spot noch vor der ersten Ausstrahlung bei der amerikanischen Veteranenvereinigung aus. Deren Sprecher Steve Vanbuskirt rügte, Madonnas Umgang mit dem Sternenbanner „grenzt an Entweihung“. Die Veteranen sehen es nämlich lieber, wenn die Särge toter US-Soldaten in die Flagge gehüllt werden. Madonnas Möpse haben in dem symbolträchtigen Tuch nichts zu suchen. Karl Wegmann
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