: Mademoiselle Butterfly in action
■ Neoromantisch bunt: „'92 The Legendary La Rose Noire“ von Jeff Lau (Forum)
Ein kindliches Mädchen mit Brille läuft durch die Straßen von Hongkong. Böse Jungs halten sie auf und hänseln sie, bis ein eleganter junger Mann eingreift. Ihr Mädchenatem beschleunigt sich verliebt, bis sich der Prinz vorstellt: Keith Lui, er sei Polizist. 'Oh je, ein Bulle', seufzt es in ihrem bebenden Herzen. Er möcht sich mit ihr verabreden, doch sie stiehlt sich verwirrt und heftig atmend von dannen. Liebevoll blickt er ihr nach. Er wird noch häufiger in ihrem Leben auftauchen.
Das Mädchen (Maggie Shiu Mei Kei) heißt Butterfly und ist eine recht verzweifelte Schriftstellerin, die sich zwar schöne Titel für ihre Kinderromane ausdenkt, in einsamen Nächten am Schreibtisch aber nichts so recht zustande kriegt und deshalb beschließt, sich zu ertränken. Irgendwie (Unlogik gibt's reichlich in diesem Film, was allerdings nicht weiter schadet) hält ein zufällig vorbeikommendes Pärchen Butterfly für einen bösen Räuber, wirft seine Brieftaschen hin und flieht. Aufgeregt erzählt Butterfly ihrer besten Freundin Kuen (Teresa Mo Shun Kwan) von der seltsamen Räuberei. Zusammen gehen sie am nächsten Tag in die ziemlich schicke Wohnung der Beraubten, staunen zunächst die luxuriösen Zimmerfluchten an, werden dann Zeugen eines actionreichen Massakers unter großen Banditen. Die zwei aufgeregten Mädchen hinterlassen drei Leichen und einen schnell von Butterfly hingehuschten Bekennerbrief: Hier war die „Schwarze Rose“ gegen das Verbrechen tätig. Erst jetzt beginnt die eigentliche Geschichte mit den abstrusesten Verwicklungen. Die „Schwarze Rose“ ist nämlich eine legendäre Filmheldin des kantonesischen Kinos der 60er Jahre, die à la Robin Hood das Massenpublikum begeisterte, und auch ihr Partner Keith Lui war bereits in den 60ern aktiv.
Butterfly, Kuen und Keith Lui schlüpfen von nun an ein wenig trottelig in die Rollen der alten Filmstars und werden als „Schwarze Rose“ sowohl von der Polizei wie von fiesen Gangstern gejagt. Außerdem bekommen sie es mit zwei Frauen, Piu Hung und Yim Fun, zu tun, die sich in einer Art Spukhaus mit den alten Heldinnen völlig identifizieren, recht gut Kung-Fu können und Butterfly und Kuen, später auch Keith Lui festhalten, um sie in ihre Traumwelt einzubauen, was zu weiteren Verwirrungen und einem großartigen Film führt.
Auch wenn man als westlicher Zuschauer die Anspielungen auf die alten Filme nicht so recht würdigen kann, spürt man doch die Distanz zwischen dem unbekannterweise Zitierten und den Zitaten selbst. Eine Distanz, die in ihrer Unbekümmertheit begeistert, denn der Film leidet weder darunter, nicht das Original zu sein, noch gefällt er sich im Zitat. Stattdessen verwendet Jeffrey Lau Mittel und Stile, die schon im Original parodistisch wirkten: überkandidelte Kampfszenen, tiefe Blicke, klopfende Herzen; seltsame Liebesduette, die unvermittelt (und leider unübersetzt) die Handlung durchbrechen und — als selbstironische Parodien zweiter Ordnung sozusagen — wieder an's Herz gehen können; oder romantische Muster, die die Liebe ziemlich albern vom Kopf auf die Füße stellen, wenn statt zwei schöner Hände zwei nackte Füße zueinanderfinden und sich schüchtern beginnen ineinanderzuhakeln.
„La Rose Noire“ ist völlig frei von existenzialistischem Kitsch & Pathos, temporeiches, buntes, neoromantisches Kino, eine Traumwelt, die selbstbewußt mit sich selbst spielt; ein Film, der einfach ist, auch wenn seine Komplexität vielleicht zu Überinterpretationen verführt, in denen es dann um Postmoderne, Original, Fälschung und Pastiches gehen könnte. Kino also, das fernab festgelegter Heldenidentitäten, vor allem mit den umherschweifenden Sehnsüchten nicht nur der Teenager nicht nur aus Hongkong zu tun hat: mal kurz Nicht-Ich zu sein, was Aufregendes zu machen, sich komisch zu verlieben, Gefahrensituationen auszuprobieren, Grenzen zu überschreiten und — husch husch — schnell wieder zurückzupringen. Aus der Traumwelt von „La Rose Noire“ taucht man nicht betäubt, sondern wacher und mit größerer Lust auf das, was der Abend noch bringen mag, wieder auf.
In Hongkong hat der Film bereits Kultstatus erreicht; zumindest während der Berlinale wird es auch hier nicht anders sein. Detlef Kuhlbrodt
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