: Made in Kreuzberg
■ Neueste Erzeugnisse aus der Klangwerkstatt
Der Gang durch eine Musikschule ist immer schon ein Wandelkonzert. Aus den Räumen schallen Trompetenfanfaren, Hornelegien, Geigenkantilenen; gewichtige Klavierakkorde, perlende Flötengirlanden, wirbelndes Schlagzeug; c-moll, H-Dur, es-moll: alles verschieden, alles zugleich. Eine ungewollte Collage für einen zufälligen Flaneur.
Hier sind die Werkstätten. Hier werden Takte zusammengesetzt, Tonleitern gefeilt, werden Melodiebögen geschliffen und Töne poliert. Prächtige Klanggebilde mit harmonischen Formen und dezenten Tönungen sollen entstehen, wenn der Bauplan aus der Klassik stammt. Etwas bizarrer ist das Gefüge, mit kantigeren Mustern und schrilleren Farben, wenn es nach moderneren Schnitten geschneidert wird. Wenn nun die zweite Kreuzberger Klangwerkstatt angekündigt wird, kann man das recht wörtlich nehmen.
Im Ballhaus Naunynstraße stellt die Musikschule Kreuzberg dieses Wochenende Meister- und Gesellenstücke vor, die für diese Schmiede der jungen Talente entworfen und hier ausgearbeitet wurden. Die Kollektion ist aus der aktuellen Saison, einige der Werke sind mit der noch heißen Nadel gestrickt und an manchem Stück wird bis in die Nacht vor der Aufführung gehobelt. Es handelt sich natürlich um Musik — genauer: um Neue Musik. Und das Programm eröffnet eine riesige Palette der unterschiedlichsten Arten: richtig auf Papier mit fünf Linien und haufenweise Punkten notierte Partituren, mit Graphiken und Symbolen komponierte Zeichnungen oder abgesprochene Improvisationskonzepte. Musik, durch Elektronik erzeugt, von Instrumenten hervorgebracht, mit Tanz versehen, durch Licht gefärbt. Aber eins nach dem anderen.
Zunächst, wie kommt eine Musikschule dazu, Neue Musik in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stellen? Der Komponist Orm Finnendahl, neben Peter Ablinger künstlerischer Leiter dieser Unternehmung, das vom Direktor Michael Schwinger organisatorisch verantwortet wird, berichtet aus der Praxis:
»Schon während meines Studiums an der HdK habe ich die Erfahrung gemacht, daß Musiker erst sehr spät mit Neuer Musik in Kontakt treten. Das liegt daran, so muß man es sehen, daß Neue Musik an der HdK verhindert wird. Wenn z.B. ein Pianist bei der Aufnahmeprüfung drei Stücke vorspielen muß, ist von vornherein klar, daß eins von Bach ist, eins aus der Wiener Klassik, also Haydn, Mozart, Beethoven, und eins aus der Zeit danach. Und wenn sich der Aspirant nicht selbst disqualifizieren will, wird er wohl was aus der Romantik statt aus diesem Jahrhundert nehmen. Die Musikschule ist da der richtige Ort, die Erfahrung mit Neuer Musik frühzeitig zu ermöglichen.«
Da fängt man am besten bei den Kindern an. So hat die Komponistin Mayako Kubo einen Auftrag für ein »Kinderstück im klassischen Stil« bekommen, das zwölf Kinderstreicher beschäftigt. Das Reizvolle beim Betrachten einer solchen Geigenhorde besteht nicht darin, die Miniaturausgabe eines echten Streichorchesters süß zu finden. Anrührend ist vielmehr der Zauber angestrengter Leidenschaft, die Emphase der Bemühung und der Charme des Falschspiels (wenn es dazu überhaupt kommt; die Zwerge von heute haben oft einen erstaunlich hohen Standard). Ein Gesprächskonzert für Kinder, von solchen Veranstaltungen haben erfahrungsgemäß auch die meisten Erwachsenen was, hat Reiner Bredemeyer mit seinem Stück »Null Problemo« im Kid-Fashion-Style ausgestattet, dazu gibt's dialektisch dann noch einen Teil aus seiner Schuloper »Der Neinsager«. Brecht meets Alf. Beide Konzerte am 10. März ab 15 Uhr.
Von anderer Natur sind die Konzerte mit Improvisationskonzepten, die von solchen Alt-Meistern wie Alexander von Schlippenbach, der übrigens an der Musikschule Kreuzberg tätig ist, Johannes Bauer, auf dem Sektor der schnellen Klangerfindung ebenfalls ein ausgewiesener Experte, Orm Finnendahl und Chico Mello und anderen für die verschiedenen Musikschulensembles erdacht wurden. Zu nennen sind das Workshop-Ensemble (9.März 15 Uhr), das Werkstatt-Ensemble (20 Uhr) und das Ensemble »Zwischentöne« (22 Uhr).
Akkordeon, das ewig geliebte, ewig gehasste Instrument, ist wohl das Musikschulinstrument schlechthin. Gründe dafür gibt es genug: Anfangs leicht zu spielen, leicht zu transportieren, alleinunterhaltungstauglich, anerkanntes Stimmungsmittel der proletarischen Sphären. Aber eine Fülle von Stücken aus neuerer Zeit auf höchstem Niveau belegen die kaum ausgeschöpften Möglichkeiten dieses Instruments. Soviel zur Ehrenrettung. Eine eher ungewöhnliche Begegnung mit Elementen des Theaters widerfährt einem Akkordeonensemble am 8. März um 22 Uhr. Der eingefleischte Akkordeon-Bekenner Sven Ake Johansson hat »22 Miniaturen« für Akkordeonisten erdacht, und es ist mit einigen Überraschungen zu rechnen.
Und gleich noch ein Klischee hinterher: Blockflöte. Dies frühkindliche Trauma ganzer Generationen von eingefleischten Musikhassern tritt kaum noch in Erscheinung. Die unversöhnlichen Gegner dieses traditionsreichen Klangholzes haben ganze Arbeit geleistet; es steht mittlerweile auf der Artenschutzliste der aussterbenden Kulturwerkzeuge. Aber nicht ganz. Ellen Hünigen läßt in ihrem Stück das Davidsinstrument gegen den Goliath Klavier antreten. Das Ringen findet am 10. März um 19 Uhr statt.
Musik und Tanz ist unter dem Thema »Das Schweigen der Musik« rubriziert. Ganz verschwiegen ist das Tonband »Cut« von Lutz Glandien nicht, soviel kann versprochen werden, es geht vielmehr, gerade gegen Ende, ganz schön zur Sache. Dem Thema (aber nicht dem Titel) eher gerecht wird Peter Ablingers »3 Minuten für Berenice« für Sopran und Tänzer, ein in jeder Hinsicht reduktionistisches Stück, dessen Schweigen und Verharren nur gelegentlich durch eine minimale Aktion unterbrochen wird. Martina Schaaks »Morphée« ist als Solo für Tänzerin konzipiert; nachprüfen läßt sich das am 10. um 17 Uhr.
Neben diesen Spezialitäten wird noch eine Vielzahl an konventioneller Instrumentalmusik und an elektro-akustischer Musik geboten. Interessierten sei ein Blick ins Programm dringend angeraten.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß in den 18 Konzerten, die angenehmerweise auf höchstens eine Stunde angelegt sind, mit über zwanzig Uraufführungen ein Programm ausgerollt ist, das nicht nur einen Überblick über die Sparten zeitgemäßen Komponierens zeigt, das nicht nur jungen Interpreten und Komponisten einen Testlauf vor Publikum ermöglicht, sondern auch Instrumentalmusik auf hohem Niveau bietet und damit — summa summarum — ein Stück Kulturpolitik einlöst, das von offizieller Seite so oft beschworen und so selten gefördert wird. In Zeiten wo selbst die Giganten der Veranstaltungsindustrie ob der flauen Finanzlage zittrige Knie haben, kommt diese kleine Manufaktur daher und bietet zum Nulltarif — tatsächlich: der Eintritt zu allen Konzerten ist frei — Handelsware mit Qualitätsgüte. Alle Achtung. Frank Hilberg
Genaues Programm an den jeweiligen Tagen unter 'Musik‘
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