: Machtkampf an der Rutsche
Erziehung und nervliche Belastung gehören zusammen, sagen Experten. Doch gleichzeitig haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Ein Kurs soll Eltern helfen, diese Norm zu erfüllen
von KAIJA KUTTER
Seit anderthalb Jahren haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen „sind unzulässig“, wie es im Paragraph 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs heißt. Fein, mögen viele Eltern denken, was hat das mit uns zu tun? Der real existierende Erziehungsalltag ist von der Erfüllung dieser Gesetzesnorm oft weit entfernt.
„Erziehung ist ohne Stress gar nicht denkbar“, sagt der Sozialpädagoge Ulrich Kaulen vom Hamburger Kinderschutzzentrum. „Manchmal platzt Mutter und Vater einfach der Kragen und sie brüllen, drohen und schlagen, ohne dass sie es eigentlich wollen.“ Kaulen bietet im November gemeinsam mit der Sozialpädagogin Elke Heptner erstmals den Kurs „Starke Eltern - starke Kinder“ an, der Eltern helfen soll, Wege in eine gewaltfreie Erziehung zu finden. Parallel wird das vom Deutschen Kinderschutzbund entwickelte Kurskonzept auch in zehn Stadtteileinrichtungen angeboten. Neben Information und Erfahrungsaustausch gibt es für die Eltern auch „Hausaufgaben“, so, wie sie Kindern richtig zuhören.
„Eltern schaffen oft Situationen, die Kinder überfordern. Sie appellieren an Vernunft und Einsicht, über die Kinder noch nicht verfügen“, sagt Kaulen. Klassisch sei zum Beispiel, ständig etwas als „Bitte“ zu formulieren, was letztlich bereits eine elterliche Entscheidung ist. Kaulen: „Wenn eh klar ist, dass der Spielplatzbesuch beendet ist, sollten Vater oder Mutter dies auch klar sagen.“ Läuft stattdessen eine 15-minütige Diskussion mit dem 3-Jährigen an der Rutsche, entwickelt sich ein sinnloser Machtkampf, bei dem Väter und Mütter denn schon mal ausflippen.
Viele Eltern reagieren häufig genervt und ungeduldig, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse stetig hintenanstellen – beispielsweise, dass es ihnen auf Dauer auf dem Spielplatz langweilig wird. Doch gerade dies zu erkennen hilft, Konflikte zu vermeiden.
Heptner und Kaulen warnen vor mechanischen Verhaltenstrainings für die perfekte Erziehung, wie sie neuerdings auch kommerzielle Kurse anbieten. Dabei werde die Beziehungsebene zwischen Eltern und Kind ausgeblendet. Wichtig sei, darauf zu achten, ob es auch „positive Angebote“ für ein Kind gibt, irgendeine gemeinsame Ebene, oder ob die Ansprache sich nur aufs Neinsagen beschränkt. Heptner: „Wenn Eltern das Gefühl dafür verloren haben, ‚was finde ich eigentlich gut an meinem Kind‘ oder gar nicht mehr wissen, wie sie rauskommen sollen aus dem Kreislauf von meckern und drohen“, sei es Zeit, sich Hilfe zu holen. Dabei könnten wenige Gespräche, in denen Konflikte in Zeitlupe rückwärts betrachtet werden, und geguckt wird, wo und warum es knallt, schon helfen, den Kreislauf zu durchbrechen. Wichtig sei auch die Betrachtung der Lebensumstände. Kaulen: „Wo Isolation der Eltern eine große Rolle spielt, kommt es häufiger zur Eskalation.“ Manchem ist da schon mit einem Kita-Platz geholfen.
Über Erziehung gibt es ein Flut von Ratgebern. Doch deren Lektüre, so die Experten, helfe meist nicht weiter, weil Eltern diese oft nur mit „der Brille ihrer subjektiven Sicht nach richtig und falsch durchstöbern“. Ohnehin konstatieren sie einen „Perfektionswahn“ den die besagten Ratgeber verursachen. Eltern müssen aber nicht perfekt sein, sie sollen – auch ein Kursziel – lernen, wieder fehlerfreundlicher zu sein.
Anmeldung und Information für den Kurs „Starke Kinder – starke Eltern“ unter ☎ 491 00 07
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