Machtfaktor Greisinnenmord

Pubertierende im zweckfreien Blutrausch: James Bosleys „Fun“ im Altonaer Theater  ■ Von Liv Heidbüchel

„Wir sind nur Kinder“, sagt die eine. Die andere antwortet: „Und wir sind Mädchen. Sie werden es irgendeinem Junkie in die Schuhe schieben.“ Da Mädchen dem Stereotyp nach ja weder richtig aggressiv noch gewaltbereit sind, könnte die Rechnung durchaus aufgehen. Hillary und Bonnie, fünfzehn und vierzehn Jahre alt, werden aber trotzdem erwischt. Die Tat: Mord an einer alten Frau. Nur so. Aus Spaß.

Fun heißt folgerichtig auch das Stück des Amerikaners James Bosley, das jetzt im Altonaer Theater erstmals in Hamburg aufgeführt wurde. Tatsächlich suggeriert die Eingangsszene, dass hier eine Menge Spaß mit im Spiel ist: Hillary und Bonnie sitzen im Dunkeln auf Hillarys Bett, leuchten sich mit Taschenlampen an und gackern, wie nur richtige Freundinnen es können. Die beiden hatten einen hervorragenden Tag, soviel ist sicher. Dabei war es ihr erster und wohl auch ihr einziger. Doch Gebrandmarkte erkennen sich sofort: Hillary als Opfer väterlichen Miss-brauchs, Bonnie längst von allen guten Geistern verlassen, einsam alle beide. Fun porträtiert zwei Mädchen auf einem Rachefeldzug, dessen Unterhaltungsaspekt kaum glaubwürdig ist.

Mit Fun gibt Meike Harten, seit Jahren im Ensemble des Altonaer Theaters, ihr Regiedebüt auf der Foyerbühne. Ihre Inszenierung sucht nach dem Warum und ergreift dabei Partei für die verkorksten Teenager. Denn mit einer „natürlichen“ Lust am Töten hat man es hier nicht zu tun. Im schnellen Wechsel fällt der Spot abwechselnd auf den Sensationsjournalisten John und die Psychologin Jane, die auf jeweils ihre Weise versuchen, an Hillary und Bonnie heranzukommen. Meistens vergeblich: Jane hat ihre eigenen Probleme zu schultern, und John geht bei seiner Gier nach pikanten Details jedes Quentchen Tiefgang ab.

Von der Leinwand blickt er ernst und besorgt in jedes Wohnzimmer und versorgt den nicht minder besorgten Bürger mit explosiven Nachrichten: Medienpräsenz, die die Schattenseiten des Lebens vermittelt, ohne Grundsätzliches zu verändern. Wahres Verständnis oder Mitleid kann der Journalist nicht aufbringen. Matthias Pantel gibt ihn nah am Klischee des selbstsicheren Schmierenreporters, an dessen Dauergrinsen jede Beleidigung abperlt. Breitbeinig und in zu engen Hosen räkelt er sich vor den Mädchen und der Psychologin und ergötzt sich an Hillarys Tagebuchaufzeichnungen, die vom Miss-brauch erzählen. Katharina Schmölzer gibt eine Psychologin, die selber dringend Betreuung braucht, und daher kaum Zugang zu den Mädchen findet.

Doch wer könnte das schon? Besonders Bonnie ist ein echter Satansbraten und eine Nervensäge obendrein. Klaudija Jovanovic spielt sie als eine dieser unerträglichen, hypermotorischen 14-Jährigen, deretwegen sich ältere Herrschaften schon mal in ein anderes Bahnabteil setzen. Elena Meissner hingegen ist als Hillary eine verbissene junge Erwachsene, vorzeitig gealtert. Sie ist die treibende Kraft des Duos, eiskalt berechnend, wenn es drauf ankommt. Bonnies Aggressionen werden durch Hillary kanalisiert: Auf immerhin 28 Messerstiche bringt sie es am Ende.

In mehreren Rückblenden erzählen die beiden von ihrem Tag. Untermalt von Technobeats, steigern sie sich in einen Blutrausch jenseits jeder Kontrolle. Der gemeinsame Hass macht die beiden zu Freundinnen, was die Inszenierung treffend herausarbeitet. Ihre Sprache hingegen kann sich nicht recht fürs Jetzige entscheiden: Fäkales, aber immer wohlartikuliert. Auch irritiert der Anachronismus, mit dem er 80er-Filmstar Mickey Rourke als Hillarys und Bonnies Held angepriesen wird. Am Ende steht Ratlosigkeit. Dass die Mädchen eine wehrlose Frau umgebracht haben und sich so endlich Macht aneignen, verpasst ihnen den ultimativen Kick. Verständlich. Die große Frage, die sich aufdrängt: Wie soll man diesen Mädchen noch helfen? Es sind schließlich „nur“ Kinder.

weitere Vorstellungen: Donnerstag, 21. März, 20 Uhr, Sonntag, 24. März, 19 Uhr, Altonaer Theater