schwarze taz: Macht und Moral: Carlo Lucarellis Italothriller
Blinde auf der Jagd
Aufklärung und Politik gehen nie zusammen. Politik, egal in welchem Regime, ist nur mit Verschleierung zu betreiben. Weil dies so ist, sind Polizisten und Politiker grundsätzliche Gegner: „Du guter Gott, was für ein Idiot bin ich doch“, ruft Commissario De Luca aus. Und arbeitet weiter, denn er glaubt nicht an das Prinzip Ordnung, sondern an das Prinzip Legalität. Er sieht sich als Diener der Gesellschaft, nicht des Staates.
In bislang drei Kriminalromanen hat der Italiener Carlo Lucarelli versucht, die Grauzone zwischen Macht und Moral auszuloten. Zu diesem Zweck hat er einen Protagonisten erfunden, der verzweifelt versucht, in den Wirren des postfaschistischen Italien seine Würde als Mensch und seinen Platz als Polizist wiederzufinden.
Commissario De Luca gerät in das Fahrwasser der Faschisten und verliert sich nach Mussolinis Fall beinahe im plötzlich entstandenen Machtvakuum („Freie Hand für De Luca“). Wenig später ist er auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit, steht bald zwischen neuen Fronten und muss sich mit Partisanen und Platzhaltern des alten Regimes herumschlagen („Der trübe Sommer“).
In „Der rote Sonntag“ tritt De Luca seinen neuen, ungeliebten Posten bei der Sittenpolizei in Bologna an und findet sich prompt als Quertreiber zwischen den beiden neu entstehenden Machtblöcken wieder. Eigentlich ist ja nur ein Bordellangestellter umgekommen. Hat sich anscheinend aufgehängt. Ein unwichtiger Fall. Commissario De Luca hätte es als Chef der Sitte nicht nötig weiterzuforschen. Doch es war Mord, und einflussreiche Kreise haben ein Interesse daran, den zu verschleiern. Gleichzeitig rüsten sich Kommunisten und Christdemokraten zum Straßenkampf, und die Fronten gehen quer durch den Polizeiapparat. Auf welcher Seite stehst du, Commissà? Carlo Lucarelli hat es geschafft, mit drei sehr knappen Kriminalromanen ein historisches Terrain zu erkunden, in dem sich alle großen politischen und sozialen Themen des 20. Jahrhunderts konzentrieren. Keine komplizierten Polit- oder Spionage-Thriller-Konstruktionen benötigt er dazu, sondern nur einen Kriminalbeamten, der verzweifelt versucht, seine schmutzige Weste wieder weiß zu kriegen.
Ein romantisiertes Italienbild findet man auch in den „Gegenwartsromanen“ Lucarellis nicht. Da ist zunächst „Der grüne Leguan“, eine Cool-Jazz-Variante des Serienkiller-Genres, in dem eine kämpferische Polizistin zusammen mit einem Blinden auf die Jagd nach einem Studentenkiller in Bologna geht. Und der gerade publizierte „Schutzengel“, ein Mafia-Thriller, in dem sich ein ehemaliger Streifenpolizist mit der punkigen Moped-Kurierfahrerin Nikita zusammentut, weil er in sie verliebt ist und sie einen Umschlag mit Geld nicht loswird, der einem ermordeten Drogendealer gehört.
Statt Techno-infizierte Trendprosa liefert Lucarelli schnelle Genrebilder, die kurze Schlaglichter auf den Zustand der heutigen italienischen Großstadtgesellschaft werfen. Wie in seinen historischen Romanen arbeitet Lucarelli auch hier mit dokumentarischen Einwürfen und Protokoll-Collagen. So entsteht eine lebendige, schillernde Hommage an seine Heimatstadt Bologna und eine mosaikartig aufgebaute Kriminalstory, bei der sich der Leser selbst als Detektiv betätigen darf. Ein erstaunlich vielseitiger Krimi-Autor. Wahrscheinlich der originellste, den Italien zurzeit hat. ROBERT BRACK
Carlo Lucarelli: „Der rote Sonntag“. Aus dem Ital. von Monika Lustig, Piper Original, 198 S., 24 DM; „Schutzengel“. Aus dem Italienischen von Peter Klöss, DuMont, 175 S., 34 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen