■ Bringt der Weltgerichtshof Milošević zu Fall?: Macht statt Völkerrecht
Die Schlinge um den Hals der beiden der Kriegsverbrechen Angeklagten Radovan Karadžić und Mladić zieht sich immer enger. Und nachdem das Den Haager Kriegsverbrechertribunal internationale Haftbefehle ausgestellt hat, ist auch auf Slobodan Milošević, den serbischen Präsidenten, der Druck, endlich zu handeln, stärker geworden.
Milošević muß sich jetzt wohl nach der Decke strecken. Denn mit der Annahme der Klage der bosnischen Regierung gegen die Republik Jugoslawien vor dem Weltgerichtshof wegen Völkermordes gerät er nun selbst in das Fadenkreuz der internationalen Juristen. Nach dem bisherigen Zusammenspiel des Den Haager Gerichtshofes mit den politischen Führern des Westens ist dabei nur schwerlich an einen Zufall zu glauben. Zu gut paßt der politische und juristische Druck auf die bosnisch-serbische und serbische Führung in das Konzept der westlichen Vormacht, die angesichts der eigenen Fehler und jener der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina um Wiedergutmachung bestrebt ist.
Und denoch ist schwer vorstellbar, daß der Westen über einen Warnschuß hinausgehen will. Zu oft wurde Milošević als „stabilisierender Faktor“ auf dem Balkan angesehen. Mit dem Argument, die unzuverlässigen Politiker der serbischen Opposition könnten wohl kaum Verträge abschließen und dann auch noch durchsetzen, wurde bisher jede Kritik an Milošević von Moskau bis Washington heruntergespielt. Die offenkundige Führungsrolle des serbischen Präsidenten bei den Kriegsverbrechen wurde von vielen internationalen Politikern folgerichtig übergangen.
Der Weltgerichtshof jedoch kann es bei Warnschüssen nicht belassen. Er muß das weiterverfolgen, was er in Angriff genommen hat. Leider ist es nur ein Wunsch, die UN-Gerichtshöfe könnten die wieder zurückerworbene moralische Kraft der Weltorganisation von sich aus in Politik umzusetzen. Noch gelingt dies nur, wenn dies im Interesse der großen Mächte liegt. Und die haben keine Interesse daran, die Kriterien für die Bestimmung von Kriegsverbrechern für alle gelten zu lassen – vor allem nicht für eigene Leute. Noch entscheidet die Macht und nicht das Völkerrecht. Daß der auch in Bonn umjubelte Jelzin gerade Tschetschenien in Schutt und Asche legt, kann so lange kaum verhindert werden, solange einem Weltgericht die exekutiven Mittel fehlen. Brächte jedoch Den Haag Milošević zu Fall, die Hoffnung auf zivilisatorische Fortschritte in unserer Welt würde trotzdem wieder etwas wachsen. Erich Rathfelder
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