: „Macht nicht dieselben Fehler“
Als Rosa Parks sich in Alabama weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen freizumachen, war Ron Williams ein Teenager. Sein ganzes Leben hat der Kabarettist und Entertainer gegen Rassismus gekämpft. Heute, mit 78, steht er auf der Bühne der Black-Lives-Matter-Bewegung. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas noch erlebe“, sagt er.
Interview von Anna Hunger↓
Herr Williams, Sie haben ein so bewegtes Leben, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Ich nehme jetzt einfach die Lindenstraße, in der Sie mitgespielt haben. Sind Sie traurig, dass die Serie abgesetzt wurde?
Ja, ich fand die Lindenstraße immer gut. Und ich fand sie immer sehr progressiv: In den Achtzigern oder Neunzigern hat die Serie schon Rassismus thematisiert. In der Zeit rund um Mölln und Hoyerswerda gab es Figuren, die schwarz waren oder griechisch, Menschen mit Migrationshintergrund eben. Viele Deutsche haben das verstanden als einen Beitrag zum besseren Verständnis von Deutschen und Nichtdeutschen. Oder von Sexualität! Ob das schwul war oder trans. Ich kenne keine Sendung, die solche Themen so intensiv und regelmäßig angegangen ist. Serien sind heute oft lapidare Liebesgeschichten. Aber die Dinge, an denen eine Gesellschaft kaputtgehen kann, kommen zu wenig vor. Wenn Medien nur auf Unterhaltung ausgelegt sind, wie zum Beispiel in Amerika, dann haben sie verpasst zu tun, was sie tun müssen.
Fehlt ihnen das Thema Rassismus in deutschen Medien?
Aber hallo. Jetzt erst, durch den furchtbaren Tod von George Floyd, reden wir über Rassismus und über schwarze Menschen. Jetzt ist das Thema präsent, auch in Deutschland. Endlich! Seit den Achtzigerjahren hatte ich um die 800 Fernsehauftritte in Talkshows und so weiter und habe immer und immer wieder das Thema Rassismus angesprochen. Jedes Mal war ich der schwarze Joker, der die Runden mit Humor aufmischte, und es hieß: Jaja, so schlimm ist es nicht in Deutschland. Es gibt schon Rassismus, aber nicht so wie in Amerika. Und ich hab immer gesagt: Kinder, das stimmt nicht. Ihr kratzt nicht genug an der Oberfläche. Ich habe in Schulen erlebt, wie mir die dunkelhäutigen Kids ihr Leid geklagt haben. Sie waren hilflos. Auch die Lehrer und Schuldirektoren waren hilflos, weil so lange niemand drüber sprechen wollte.
Glauben Sie, jetzt kommt dank der Black-Lives-Matter-Demos Bewegung in die Diskussion?
In München hatten wir eine riesige Demo für Black Lives Matter. Die Veranstalter dachten, es kommen 200 Leute auf den Königsplatz. Und dann kamen 25.000! Ich wurde gebeten, ein paar Worte zu sagen. Also habe ich gesagt: „An diesem Platz stand einmal Adolf Hitler, dieser Arsch, und vor ihm standen Tausende schwarz gekleidete SS-Leute und Braunhemden der SA, Und jetzt stehen hier schwarze und braune Menschen, Menschen in diesen zwei Farben, und stellen ganz etwas anderes dar.“ Ich hätte nie gedacht, dass ich als schwarzer Amerikaner in Deutschland noch eine solche Massenbewegung erlebe.
Was können wir denn tun? Wir Weißen?
Ihr müsst nicht nur mit den Schwarzen reden! Die Weißen müssen vor allem mit sich selbst reden! Warum gibt es Rassismus? Warum sind die Schwarzen so wütend, warum sind die Jungs unterwegs mit ihrem Rap, mit den Attitüden der Gewaltsamen, des Gefährlichen? Warum? Diese Attitüden kommen von einer jahrhundertelang unterdrückten Wut und Angst, das man nicht dazu gehört. Dass man schnell sein Leben verlieren kann, wenn ein Polizist einen auf der Straße anhält. Walking while black, sleeping while black, living while black – das hat man in Amerika immer vor Augen, und daher kommt diese Wut. Die haben die Amerikaner seit Jahrhunderten mit ihrer Ungerechtigkeit, ihrer Feigheit, ihrer eigenen Schwäche anzuerkennen, dass es Rassismus gibt, befeuert. Das ist heute noch so. Und nicht nur in den USA. Ich höre immer wieder: Ihr habt doch eure Stars, eure Basketballspieler, was wollt ihr denn, seid nicht so ungeduldig, ihr Schwarzen. Seit Martin Luther Kings Tod 1968 hat sich schon etwas verändert, aber die wesentlichen Eckpunkte nie. Aber jetzt ist scheinbar der Groschen gefallen. Und zwar laut.
Sie haben Ihre Abschlussarbeit auf der High School über Friedrich den Großen geschrieben. Wie kamen sie auf ihn?
Ja! Da sagten alle, ich sei blöd. Aber dieser Junge, der musisch unterwegs war, der Voltaire liebte, und dann kommt der Papa und prügelt ihn zum Soldatenkönig. Wie er darunter gelitten hat! Diese ungeheuer preußische Geschichte fand ich faszinierend. Und dann kamen Hitler und die Nazis und haben diese Geschichte umgedichtet. Wie kann es sein, dass ein Land nach Hegel, Bach und Beethoven zwölf Jahre in diesem braunen Zeug versinkt? Und innerhalb von fünf, sechs, Jahren ist es wieder eine demokratische Republik. Schon als Teenager dachte ich: Deutschland muss ich kennenlernen.
In den Sechzigern sind Sie dann tatsächlich nach Deutschland gezogen. Und das als Kalifornier! Warum?
Damals nannte man mich Ronnie „The Lawyer“, weil ich mich eingemischt habe, wenn ich Ungerechtigkeit witterte. Ich hatte ein Stipendium an der Dartmouth University in Connecticut, das war für einen Schwarzen zu der Zeit sehr besonders. Mein Onkel war klassischer Sänger, Bariton, meine Tante saß immer am Steinway, und ich hörte ihn Lieder auf Deutsch singen, es war wunderbar. Er sagte zu mir: Ron, pass auf, du warst als Kind in sechs Heimen, das ist nicht gut für die Seele. Statt an die Uni zu gehen und dort Druck zu haben, geh zum Militär, such dir ein Land aus, wo du was erleben kannst, und dann komm zurück und schau, was du machen willst. Also gut, dachte ich. Luftwaffe, ne, Marine, ne, aber Armee? Ja, das könnte ich probieren. Also habe ich eine Ausbildung als Militärpolizist gemacht.
Wann haben sie das erste Mal Rassismus erlebt?
In Kalifornien habe ich null Rassismus erlebt. Für die Ausbildung zum Militärpolizist bin ich nach Augusta, Georgia. 1960 war das Ku-Klux-Klan-Land. Da landete ich als schwarzer, junger, frecher Kerl mit losem Mundwerk am Flughafen. Es war heiß und ich laufe in die Halle zu einem Wasserspender, hab getrunken, und jemand klopft mir auf die Schulter, ein weißer Sheriff: „Boy“, so wurden die Schwarzen immer genannt, „dein Wasser ist da drüber, das hier ist für Weiße.“ „For whites only“ stand da, und auf der anderen Seite stand „For colourds only“. Und ich sagte: „Moment mal, ich heiße nicht Boy“, ich zeigte auf mein Namensschild und wollte grade loslegen, da nimmt mich mein Sergeant zur Seite: Ron, das hier ist nicht Kalifornien, das hier ist Dixieland. Da hab ich gemerkt, oh, hier ticken die Uhren anders. Dann hatten wir einen freien Tag, und unser Captain sagte: Ihr schwarzen Jungs, ich muss euch warnen, bitte in Gruppen gehen, keine weißen Mädels ansprechen, wenn ihr einkaufen wollt, geht nicht vorne, sondern hinten rein. Ich dachte, wo bin ich hier? Ich trage die Uniform der amerikanischen Armee und kann nicht normal durch die Stadt laufen? Das war übel. Dann war ich in Virginia als einziger Schwarzer in einer Polizeieinheit. Einmal war ich mit einem weißen Mädchen Icecream essen. Irgendwelche weißen Jungs haben mich gesehen und mich fertig gemacht. Es endete in einer Baracke mit einem Bajonett an meinem Hals und lauter weißen Rednecks um mich rum, die sagten: Wir stechen dich jetzt ab.
Wie kamen Sie raus aus der Situation?
Es gibt ein Geräusch, das machte unsere damalige Dienstwaffe, ein 45er Colt, wenn die Kugel einrastet. Dieses Geräusch hörte ich und denke: Scheiße, jetzt werde ich abgeknallt. Und dann hörte ich die Stimme von einem Schwarzen am Ende der Baracke, er zielte mit beiden Händen auf die weißen Jungs und sagte: „Hey ihr weißen Arschgeigen, wenn ihr die Finger nicht von meinem schwarzen Bruder lasst, schieße ich euch die Rassistenköpfe weg.“ Er hat mich gerettet und wurde mein Freund. Solche Dinge habe ich häufig erlebt und mich dann mit Hilfe meines Kongressabgeordneten versetzen lassen nach Deutschland. So wurde ich Journalist und AFN-Sprecher in Stuttgart.
War das nicht ein bisschen vom Regen in die Traufe? In den Sechzigern in Deutschland, da sind hier lauter Altnazis rumgelaufen.
Ja klar, die habe ich auch kennengelernt. Ich habe in den Robinson Barracks am Burgholzhof gewohnt und mir als erstes eine Vespa gekauft, um rumzusausen. Ich wollte ja wissen, was los ist mit den Deutschen.
Und?
Damals waren zu viele sehr konservativ. Aber ich habe auch gemerkt, dass viele Opfer waren. Wenn ein Mensch wie Hitler an die Macht kommt, und du bist 17 oder noch jünger – was machst du? Du machst mit und lebst hinterher im unbeliebtesten Land der Welt, das ist schon schwierig. Mein deutscher Ziehvater ging sonntags immer zum Frühschoppen. Da lernte ich einen Ex-SS-Oberst kennen. Der brauchte einen Chauffeur. Ich dachte: Haja, großer Mercedes, klar mach ich das! Das war mein erster Job nach der Armeezeit. Der Oberst fuhr gern nach Österreich zu seinen Kriegskameraden, um zu trinken, Skat zu spielen und über den Krieg zu reden. Damals habe ich meine kabarettistischen Stimmen gelernt, denn je mehr diese Männer tranken, desto lauter wurden sie, es war wie in einem Sketch – mit Messer, Gabel, Salz und Pfeffer haben sie ihre Divisionen nachgestellt. Und ich saß daneben und dachte, das ist eine Welt, die ich bei der Armee nicht hätte kennenlernen können.
Und dann saßen Sie als Schwarzer mit diesen Leuten am Tisch?
Ja. Ich war akzeptiert, weil mein Deutsch gut war, ich konnte schwäbeln, Witze erzählen. Ich war quasi, Verzeihung, deren „Neger“. Ich habe auch gestritten! Aber immer mit Humor. Daraus habe ich meine Kabarett-Karriere begonnen als erster US-amerikanischer, als erster schwarzer politischer Kabarettist. So habe ich gelernt, wie ich als Schwarzer vor einem deutschen Publikum stehen kann. Die Figuren konnte ich so spielen, dass sie witzig waren, aber mit Biss. Die Leute lachen, aber es tut weh. So konnte ich das Thema Rassismus immer wieder auf die Bühne bringen.
Wann haben Sie angefangen, sich gegen Rassismus zu engagieren?
Schon als Soldat. In den Stuttgarter Zeitungen hieß es immer, wenn ein GI irgendwas gemacht hat: Der „Neger“ hat dies und das verbrochen. Wenn es ein Weißer war, stand da nicht, dass er weiß war. Also bin ich zu den Zeitungen gegangen und habe gefragt, ob man die Hautfarbe immer erwähnen muss? Später wurde es besser, da hieß es nur noch „der amerikanische Soldat“. Solche Kleinigkeiten habe ich versucht anzugehen, immer wieder. Bis heute versuche ich, Türöffner zu sein für die Afrodeutschen, meine Brüder und Schwestern.
Seit vielen Jahren sind Sie mit ihrer „Schultour für Toleranz“ unterwegs. Wie geht es Ihnen denn, wenn Neonazis unter den Schülern sind?
In den Schulen sind es meistens junge Leute, 16, 17 Jahre alt. Vergiftet vom Vater, Onkel oder Bruder. Wenn da 700 Kids in einer Aula sitzen, sage ich, kommt, lasst ihn reden. Und dann sagen die anderen Kids ihre Meinung. Einmal habe ich was erlebt, das werde ich nicht vergessen. Als ich fertig war, stand einer auf und sagte: „Danke Ron, du bist ein ganz cooler Typ, und weißt du was, ich klatsche keine Ausländer mehr. Das ist dumm.“ Und die anderen Kids haben ihm High-Five gegeben. Da kriegt man Gänsehaut. Oder der kleine Junge, der auf den Stuhl stieg, um ein Lied auf Türkisch zu singen. Er hat sich bei mir bedankt, dass ich da bin, um für ihn zu kämpfen. Wunderbare Momente. In Schulen müsste man eigentlich einmal die Woche ganz gezielt über Rassismus reden. Tut man aber nicht.
Was machen wir mit der AfD?
Die haben ein Recht auf ihre Meinung. Aber wir anderen müssen wehrhaft dagegen ankämpfen. Wissen Sie: Angela Merkel und die Flüchtlinge 2015. Damals hat sie Deutschland, diesem Land, in dem es mal ein ungeheuerliches NS-Regime gegeben hat, einen ganz neuen Ruf verschafft. Ich streite immer mit Leuten, die sagen: Das war der größte Fehler von Merkel! Jetzt will ganz Afrika herkommen! Und dann sage ich: Ja, warum wollen die Leute nach Europa? Was habt ihr Europäer aus Afrika gemacht? Vergewaltigt, ausgeblutet, ausgesaugt habt ihr Afrika! Als Südafrika noch ein Apartheidregime war, haben Firmen wie Siemens und Daimler mit diesen Rassisten dirty deals gemacht. Und ihr macht das heute immer noch so. Und ja, dann wollen die Menschen zu euch kommen.
Was also tun?
Ihr müsst tagtäglich darüber in den Medien berichten! Die Wahrheit erzählen! In Ghana gab es eine große Hühner- und Eier-Industrie. Riesengeschichte. Dann kamen die Europäer mit gefrorenem Hühnerfleisch, das die Deutschen nicht essen wollen, und haben das günstig nach Afrika verkauft. Nordwestafrika hat von der Fischerei gelebt. Was ist passiert? Europäische Fischtrawler kommen mit riesen Netzen und fangen alles weg. Solche Beispiele gibt es überall. Und darüber müssen wir sprechen. Unbedingt. Jetzt. Deutschland ist meine Heimat, und ich wünsche mir, dass ihr nicht dieselben Fehler macht wie die Amerikaner.
Ron Williams, eigentlich Ronald Lee Williams- Clarke, ist 1942 in Oakland, Kalifornien, geboren. Als Militärpolizist kam er 1961 nach Stuttgart und wurde Journalist für den Soldatensender AFN und die Militärzeitung „Stars and Stripes“. 1963, ausgeschieden aus dem Militärdienst, wurde er von Gerhard Woyda, dem Gründer des Stuttgarter Renitenztheaters, entdeckt und Mitglied des Ensembles. Das war der Start seiner Karriere. Ron Williams war der erste US-amerikanische und schwarze politische Kabarettist Deutschlands, hatte Titelrollen in diversen Musicals und war Synchronsprecher. In der Lindenstraße spielte er die Rolle des William Brooks. Für sein lebenslanges Engagement gegen Rassismus wurde er 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. (ana)
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