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Mach mit, mach's nach, mach's besser

■ John Amiels „Copykill“ serviert ein intelligentes Rätsel zum Thema Serienkiller

Wissen ist Macht, das sagten schon Francis Bacon und Wilhelm Liebknecht. Helen Hudson hat drei Computer auf ihren drei Schreibtischen stehen – eine Anlage, deren Omnipotenzversprechen unseren gelben Neid erregt. Was Hudsons Lebensweise nicht tut: Die ehemalige Polizeipsychologin benötigt die drei Computer, denn sie sind ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Helen Hudson war auf Serienmörder spezialisiert, hat einst allwissende Vorträge über sie gehalten und kann nun ihre Wohnung nicht mehr verlassen, seit ein Angehöriger dieser unerfreulichen Spezies sie auf dem Damenklo einer Universität an einem Drahtseil aufknüpfte. (Der Musiker Harry Connick jun. ließ sich extra für diese Szene umschulen.) Damals kam Hudson knapp mit dem Leben davon, aber weil es im Leben ungerecht zugeht, hat sich die Gewalt in ihrem Inneren eingerichtet: Hudson leidet unter Agoraphobie. Das düsterste Kapitel ihres Lebens ist noch lange nicht abgeschlossen.

Serienmörder waren im Kino der vergangenen Jahre ein immer wieder gern genommenes Thema – bis einem das viele Blut aus den Ohren und anderswo wieder herauskam. All diese kleinen Morde unter Freunden und Feinden, begangen von naturbegabten Killern – wie öde. Regisseur Jon Amiel („Sommersby“, „Julia und ihre Liebhaber“) scheint die Abnutzungserscheinungen des Genres in Betracht gezogen zu haben und auch, daß ein andeutendes Verhüllen weitaus interessanter sein kann als explizite Brutalität. Jon Amiels erste clevere Eingebung war es, seinen Thriller in San Francisco anzusiedeln. Der einstige Hort von love und peace wird zum Ort des Grauens, als MJ Monahan (Holly Hunter) vom S.F. Police Department zu überdurchschnittlich vielen bizarr angeordneten Frauenleichen gerufen wird. Holly Hunter wirkt als harter Cop zunächst so rührend fehlbesetzt wie Roswitha Schreiner alias Kommissarin Miriam in einem Düsseldorfer „Tatort“. Im Team mit Sigourney Weavers ebenso erwachsener wie psychisch zerstörter Helen macht Hunters mädchenhafte Präsenz jedoch plötzlich Sinn: Auch MJ Monahan ist ja ein eher altes Mädchen, das sein Leben für die Ergreifung genau jener Killer riskiert, mit deren Beschreibung in Buchform Helen Hudson Ruhm und Geld erntete. Holly Hunter macht dieses Wissen zur skeptischen Basis für Monahans Handeln, als sie die Expolizeipsychologin bittet, der Polizei bei der Aufklärung der Morde beizustehen. Sigourney Weaver wiederum führt vor, wie die Herrin des Wahns wider Willen selbst vom Wahn infiziert wird. Diese beiden, sich am selben Gegenstand und doch ganz unterschiedlich abarbeitenden Spezialistinnen waren Amiels zweite clevere Eingebung.

Auch alles übrige ist pure Intelligenz. Neunzig Prozent aller Serienmörder, das gilt als erwiesen, sind nette, weiße Männer zwischen 20 und 35 Jahren. Jon Amiel verleiht seinem Film einen semidokumentarischen Thrill, indem er den unbekannten Killer die Verbrechen berühmter amerikanischer Serienmörder zwanghaft präzise nachahmen läßt. Motto: Das Bewährte ist doch immer das Beste oder andersrum. Natürlich erkennt Helen Hudson bald das Muster des Killers. Der Höhepunkt soll ihre Ermordung sein – genau wie damals im Damenklo geplant und fehlgeschlagen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, der nebenbei die andere Seite der Macht des Wissens illustriert: Was Helen Hunter weiß, macht sie fast verrückt, denn Helen weiß, welche Morde geschehen werden, und kann sie doch nicht verhindern. Bald werden Würmer, die an Leichen knabbern, vom Killer mittels Internet auf Helens häuslichem Monitor plaziert und so weiter und so fort. Selbst die sexuelle und narzistische Besetztheit des Mordens gewinnt bei Jon Amiel einen interessanten Aspekt. Der Jekyll/Hyde dieses Films (William McNamara) wird als graue Wissenschaftsmaus vorgestellt und verliert im Verlauf des Geschehens nicht nur Bill-Gates-Frisur und Brille, o nein, er läuft nachgerade zur Karikatur einer allamerikanischen Jungs-Attraktivität auf, wenn er beim Finale seine erstklassigen Zähne fletscht und die Haselnußaugen aufreißt. Warum gleich Killen – der Rest sei hier Schweigen. Anke Westphal

„Copykill“. Regie: Jon Amiel; mit Sigourney Weaver, Holly Hunter, Harry Connick jun., William McNamara, Dermot Mulroney; USA 1995, 124 Min.

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