MOBILITÄT : Die Stadt dem Auto

Das Hamburger Museum der Arbeit befasst sich mit der Frage, wie die Massenmotorisierung das Leben in der Stadt verändert hat. Nach wie vor müssen Parkplätze größer sein als Kinderzimmer.

Hamburger Fernverbindung: die Ost-West-Straße - die Ansicht von 1969. Bild: MDA

Es beginnt mit den Verkehrstoten der Woche. Gleich am Eingang der Ausstellung „Die Stadt und das Auto“ im Hamburger Museum der Arbeit ist eine große Tafel aus den 50er Jahren reproduziert. Mit austauschbaren Täfelchen, als seien es Benzinpreise, konnte der aktuelle Stand angezeigt werden: drei Tote, 112 Verletzte, 207 Unfälle insgesamt. „Ein Signal dafür, dass das Auto neu ist“, sagt Mario Bäumer, einer der Kuratoren der Ausstellung.

Wir haben einen hohen Preis für unsere Mobilität bezahlt – und bezahlen ihn noch, das macht diese Ausstellung gleich am Anfang deutlich. Der Preis bemisst sich nicht nur in Verkehrstoten, die 1970 mit mehr als 20.000 einen Rekordstand erreichten, sondern im autogerechten Umbau der Stadt. Die Zerstörungen des Krieges und das starke Wirtschaftswachstum danach inspirierten die Planer zu radikalen Neubauentwürfen, von denen der größte Teil zum Glück nicht umgesetzt worden ist. Die Kinder wurden von den Straßen vertrieben und die Flaneure von den Plätzen. Erst in den 80er Jahren begannen die Menschen, die Stadt zurückzuerobern.

Noch während des Krieges hatten die Planer begonnen, der Massenmotorisierung den Weg zu ebnen. Der Architekt Konstanty Gutschow plante eine gigantische Autobahnbrücke über die Elbe – ein Bauwerk mit 500 Metern Spannweite und über 100 Meter hohen, granitverkleideten Pylonen. Die zusätzliche Elbquerung für die A 7 wurde tatsächlich gebaut – aber erst Anfang der 70er Jahre und zwar als Tunnel.

Von Gutschow ist ein Tondokument zu hören, indem er die Zerstörung Hamburgs als Gelegenheit preist, die Stadt schöner und moderner aufzubauen – ohne die alten engen Quartiere. „Nun haben die Bomben des Feindes viele dieser minderwertigen Baukörper zerstört“, spricht Gutschow im pathetischen Ton der Zeit. „Dem allergrößten Teil dieser Zerstörungen weinen wir keine Träne nach.“ Sein Plan mit einem Netz von Durchgangsstraßen wird nach dem Krieg zu einem Netz von Stadtautobahnen kreuz und quer durch die Stadt mit Radialen hinaus ins Umland.

Dass nur wenige davon gebaut wurden, ist dem Widerstand der Bevölkerung zu verdanken. Die romantischen Kanäle zuzuschütten – das ging den AnwohnerInnen der Gründerzeitviertel zu weit. Neben den Fernverbindungen wurde nur eine Autobahn ins Umland nach Geesthacht gebaut und die damals so genannte „Ost-West-Straße“ – eine Schneise durch die Innenstadt parallel zur Elbe, durch die sich täglich fast 60.000 Autos wälzen.

Auch die Funktionstrennung zwischen Freizeit, Wohnen und Arbeiten ließ sich nicht komplett durchsetzen. Sie war von der internationalen Architektenschaft 1944 in der sogenannten Charta von Athen aus gesundheitlichen Gründen gefordert und durch das Automobil vollends möglich gemacht worden. Während das Kneipenviertel Ottensen in letzter Minute dem Schicksal entging, durch eine Bürostadt ersetzt zu werden, ließen Senat und Bürgerschaft nördlich des Stadtparks eine autogerechte Bürostadt bauen: die City Nord.

Wuchtige Hochhäuser sitzen in einem Netz breiter Straßen, das die Hierarchie zwischen motorisiertem und nicht motorisiertem Verkehr nachdrücklich etabliert. Der Fußgänger verliert sich zwischen den Bürohäusern, durch die er mit Treppen und Stegen geführt wird. Das Analogon hierzu sind die weitläufigen Trabantenstädte. Fotos aus deren Entstehungszeit dokumentieren, wie der Zuschnitt auf den Autoverkehr das menschliche Maß negiert: breite Ausfallstraßen, weit verteilte Hochhauszeilen mit Parkplätzen dazwischen. Es ist schwer, sich hier heimisch zu fühlen.

Die Weichen hatten die Nazis schon vor dem Krieg gestellt: Die Reichsgaragenordnung schrieb einen Parkplatz pro neu zu errichtender Wohnung vor. Ein PKW-Stellplatz hat heute 13 Quadratmeter groß zu sein – die Ausstellung versucht, das mit Linien auf dem Fußboden zu veranschaulichen. Für ein Kinderzimmer gelten zehn Quadratmeter als Norm.

Auch das Objekt, das in Deutschland dieser Entwicklung das Gesicht gab, ist zu sehen: der VW-Käfer, unter den Nazis „Kraft-durch-Freude-Wagen“. In glänzendem Grau steht ein Originalwagen in der Ausstellung. Dazu gibt es Accessoires wie Benutzerhandbücher aus den 30er und 50er Jahren. Wer vor dem Krieg darauf sparte, hat den Wiederaufbau des VW-Werks finanziert. Für das Auto musste er nach dem Krieg wieder neu zu sparen anfangen. Bevor es dazu reichte, beschafften sich viele ein Motorrad oder einen Roller.

Die hohe Zahl der Toten und Verletzten zeigt, wie schwer es für die Menschen war, sich auf das starke Verkehrswachstum einzustellen. Serienbilder von Kreuzungen zeigen den Wandel der Verhältnisse. 1912 bietet sich am Stephansplatz nahe des Dammtores ein Bild, das von Fußgängern dominiert wird, 1922 steht dort die erste Ampel des europäischen Kontinents – errichtet für die elektrische Straßenbahn. Wenige Jahre später dominieren Kraftfahrzeuge das Bild. Aber erst 1958 gibt es die erste Ampel für den Autoverkehr.

Die Verkehrssicherheit wird zu einem Thema. Fotos von Beispielen über das Fehlverhalten im Verkehr geben einen Eindruck davon, wie es zuging auf den Straßen. Im Zweifel hatte der Radfahrer zu weichen. Schon 1948 führte die Hamburger Polizei den „Verkehrskasper“ ein zur Verkehrserziehung für die Kleinen. Filme davon sind in einem Mini-Kino zu sehen.

1954 wird in Hamburg die erste Parkuhr aufgestellt: zehn Pfennige kostet die Stunde. Mit einem Schlauch-Wägelchen werden die Uhren geleert. 1956 folgte das erste Parkhaus. Zuvor hatte gerichtlich geklärt werden müssen, dass Parkgebühren erhoben werden durften. Dem Wachstum der Automobilpopulation hat das ebenso wenig Einhalt geboten, wie die Ölkrise 1973. Ein Sprit- und Platzsparmodell wie der „AWS Shopper“ konnte sich damals nicht durchsetzen. Allerdings dürfte der eckige Kleinwagen selbst nach den damaligen ästhetischen Maßstäben als hässlich gegolten haben. Bloß 1.500 Stück wurden verkauft.

Das Modell, den wachsenden Verkehr hinzunehmen und sich anzupassen, gelangte in den 80er Jahren an seine Grenzen. Die Menschen begannen sich zu wehren. Anfang der 80er Jahre wurden der Verkehrsberuhigte Bereich und die Tempo-30-Zone eingeführt. Plakate der Grün-Alternativen Liste (GAL) thematisieren den Verkehrsinfarkt und den täglichen Kampf der Radler, Fußgänger und Autofahrer gegeneinander.

Zwar nimmt die Zahl der Autos weiter zu, doch auch die Einstellung zum Auto und zur Stadt wandelt sich. Der Trend zum Wohnen im Grünen scheint heute zumindest zum Teil gebrochen. Auch bei Familien sind Innenstadtquartiere mit ihren kurzen Wegen wieder beliebt und als Statussymbol scheint das Auto durch schicke Mikroelektronik abgelöst zu werden. Ausstellungsmacher Bäumer nimmt sich davon nicht aus. „Ich kann mir gut vorstellen, auf das Auto zu verzichten“, sagt er. Eine der nächsten Ausstellungen werde sich dem Fahrrad widmen.

„Die Stadt und das Auto“: bis 23. September, Hamburg, Museum der Arbeit
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