: MIT SALAMITAKTIK ZUR KULTUR?
■ Der Streit um eine zukünftige Nutzung der „Maison“
In den 40er Jahren sollte die Maison unter der großdeutschen Großarchitektur des Albert Speer verschwinden, in den autogerechten 60er und 70er Jahren einem Autobahnzubringer zur geplanten Westtangente weichen. Aus beiden Plänen wurde nichts und weil die Trasse für den Zubringer noch bis Mitte der 80er Jahre im Flächennutzungsplan stand, durfte der jetzige Privateigentümer auch nicht abreißen und neu bauen. Deshalb konnte sich auf dem Gelände zwischen Haupt- und Belzigerstraße in Schöneberg die heutige Mischnutzung entwickeln: drei Künstlerateliers, zwei studentischen Großwohngemeinschaften, ein Altwarenhändler, ein Baustofflagerplatz, eine Moschee, 50 Mietparteien, eine Beratungstelle für türkische Frauen, ein Imbiß, ein Wollgeschäft, eine Spielhalle und ein Supermarkt.
Diese multikulturellkapitalistische Idylle sehen die Bewohner und Gewerbetreibenden auf dem Maison-Gelände jetzt gefährdet. Zu Beginn der 80er Jahre hat der Landeskonservator die städtebauliche Sahneschnitte für seine Denkmalschützer entdeckt. Außerdem plant der Bezirk Schöneberg das geschichtsschwangere Gelände öffentlich nutzen und damit soziokulturelle Defizite abzubauen. Ein seit '84 vorliegender neuer, noch nicht rechtskräftiger Bebauungsplan weist den hinteren Teil des Geländes als Parkanlage und den Großteil der Gebäude als „Jugendfreizeitheim und Anlage für Soziale Zwecke“ (Altenheim, Heimatmuseum) vor. Er soll dem Bezirk das Vorkaufsrecht auf das Gelände sichern. Wohn- und Gewerbefunktion sollte nach diesem Plan nur noch in den Gebäuden an der Hauptstraße möglich sein. 1986 wurde dann die Parzellierung des Geländes in verschiedene soziale Einrichtungen aufgegeben und in Richtung auf ein bezirkliches Kulturzentrum umgebogen. Das Amt für Volksbildung übernahm die Sache. Ein neuer Entwurf des Bebauungsplans von diesem Frühjahr weist die Gebäude nun als „Mehrzweckhaus“ aus, doch auch bei dieser Konzeption war bisher klar, daß nicht alle Mieter in der Maison wohnen bleiben könnten. Es zeichnet sich jedoch ein möglicher Kompromiß ab, bei dem nur der Supermarkt an der Hauptstraße zum Kulturzentrum würde und der Baustofflagerplatz zu einem Park mit Cafe. Bis der Bebauungsplan beschlossen sein wird, hängt die Zukunft der Maison weiter in der Luft. Der Besitzer will nicht verkaufen und führt mit dem Landeskonservator noch einen Prozeß gegen die Unterschutzstellung aller Gebäude.
Um die Zukunft der Maison gibt es zwischen den Bewohnern und dem Bezirksamt einen Streit mit verzerrten, aber harten Fronten. Die Bewohner befürchten, daß ihre „Mischkultur“ verdrängt wird, wenn die bezirkliche Kultur erst einmal auf dem Gelände ist. In „Salamitaktik“ könnte dann ein Mieter nach dem anderen zugunsten öffentlichen Raums verdrängt werden. Sie sehen „wegen der bisherigen Besitzverhältnisse“ keine Veranlassung mit dem Kunstamt zusammenzuarbeiten. Insbesondere haben sich die Bewohner auf die Kunstamtsleiterin Katharina Kaiser eingeschossen, die das Konzept eines Kulturzentrums entwickelt hat. Die habe trotz der offenen Situation bereits brieflich bei Schöneberger Kunstgruppen Ideen gesammelt für die zukünftige Nutzung neuer Räumlichkeiten, mit denen nur die „Maison“ gemeint sein kann. („Was würden sie mit 600qm anfangen?“). Für Kaiser war die Briefaktion „Mail Art“, eine „Aufforderung zu Assoziationen über ein zukünftiges Kulturzentrum“. Die Bewohner fühlen sich von Frau Kaiser vor „Scheinalternativen“ gestellt. Die hatte jedoch lediglich aufgezeigt, was passieren kann, wenn der Landeskonservator den Prozeß gegen den Besitzer gewinnt und dieser oder seine Erben dann an private Investoren verkaufen: Schönsanierung mit teuren Wohnungen. Oder: falls der Bezirk tatsächlich kaufen kann, das Kulturkonzept aber scheitert, könnten sich andere Ämter durchsetzen, die aufgrund fester Auflagen für Jugend- und Altenzentrum die Bewohnerinteressen noch weniger einbeziehen. Das bewerten die Bewohner als Aufforderung, sich „an die Rockschösse von Frau Kaiser zu hängen“. Sie fordern eine Anerkennung des auf dem Gelände Vorhandenen, eine rechtliche Absicherung im Bebauungsplan und Mittel zur Erhaltung der Maison. Gleichzeitig verweisen sie auf Alternativstandorte, wie das Prälatgelände in der Hauptstraße und das Gelände des Senatsfuhrparks in der Belziger Straße.
Kaiser hingegen betont, daß das Kunstamt „nicht der Feind der Bewohner ist“. Schließlich habe sie mit dem vom Kunstamt finanzierten Video für die Ausstellung den Bewohnern erst die Plattform für die Artikulation ihrer Interessen gegeben. Außerdem seien die Interessen der Bewohner in einem gemeinsamen Trägerkonzept eher durchzusetzen als gegen einen privaten Investor. Die Bewohner sehen darin nur eine besonders subtile Form der Vereinnahmung und einen Versuch der Legitimationsbeschaffung. Ein Trägerkonzept und einen zweiten Standort Fuhrpark kann sich auch die federführende Volksbildungsstadträtin Karla Werkentin (AL) vorstellen. Sie will zuerst den Wohnraum sichern. Sie will erreichen, daß der Bezirk eine politische Absichtserklärung abgibt, daß die Bewohner der Maison bleiben können, „damit eine gemeinsame Lösung erreicht werden kann und sich die Situation entspannt“.
Doch die politische Absichtserklärung kann nur ein erster Schritt sein, wie eine Lösung aussehen könnte, wird von der Einigung der streitenden Parteien um den Bebauungsplan abhängen.
Kotte
Am nächsten Donnerstag, dem 13.Juli, diskutieren Politiker und Vertreter des Bezirksamts öffentlich mit den Bewohnern, im Haus am Kleistpark, 19.00Uhr.
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