MIT INDUSTRIEHAVARIEN AUF DU UND DU: Risikopotential wächst
■ ILO plant Konvention zur Verhütung von Industrieunfällen
Genf (taz) — Bhopal, Seveso oder Sandoz/Schweizerhalle — das sind nur die bekanntesten Beispiele für schwere Industriekatastrophen der letzten Jahre. Bei fast allen Unglücken wurde durch nachträgliche Untersuchungen festgestellt, daß sie vermeidbar gewesen wären. Zumeist fehlte es an verbindlichen gesetzlichen Vorschriften für Vorsorge- und Schutzmaßnahmen — oder bestehende Bestimmungen wurden nicht eingehalten. Die „Internationale Arbeitsorganisation“ ILO in Genf sieht deshalb auf diesem Gebiet einen erheblichen Handlungsbedarf. Denn nach einer Studie des Internationalen Arbeitsamtes sind jene Industriezweige, die über ein Risikopotential für Industriekatastrophen verfügen — etwa Chemiebetriebe — weiterhin stark im Wachstum begriffen.
Auf der derzeit stattfindenden Jahrestagung der ILO sollen nun die Voraussetzungen für eine „Internationale Konvention zur Verhütung von Industrieunglücken" geschaffen werden. 64 der 155 ILO- Mitgliedsländer, darunter die meisten EG- und EFTA-Staaten sowie die USA haben bereits grundsätzlich eine derartige Konvention begrüßt. Doch der Teufel liegt wie so oft im Detail.
Vor allem Frankreich sperrt sich gegen allzu weitreichende Bestimmungen. Offensichtlich um den Erhalt ihres Standortsvorteils etwa im Nuklearbereich besorgt, will die Pariser Regierung die ILO-Konvention auschließlich auf Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit innerhalb von Betrieben begrenzen.
Als führend bei der Aufstellung von Regeln für Katastophenfälle galt bislang die EG mit ihrer sogenannten Seveso-Richtlinie, benannt nach dem schweren Chemieunglück in der italienischen Stadt im Jahre 1974. Doch das internationale Arbeitsamt hat nachgewisen, daß diese Richtlinie erhebliche Ermessensspielräume erhält, die von den EG-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich interpretiert werden. So hat etwa die Bundesrepublik 5.000 Betriebe gemeldet, die auf Grundlage der Seveso-Richtlinie störanfällig sind, Frankreich jedoch nur 322 und Italien 350.
Nicht einmal die Hälfte aller ILO-Mitglieder unterstützt bisher die Verpflichtung der Arbeitgeber, bei störanfälligen Anlagen ein Vorbeuge- und Abwehrsystem einzurichten. Zu einem solchen System gehören die Bestimmung und Analyse von Gefahren, eine Risiko-Abschätzung sowie technische und organisatorische Maßnahmen für einen sicheren Betrieb. Dies schließt regelmäßige Inspektionen ein.
Für eine Konvention reicht es jedoch nicht aus, wenn sich lediglich die Regierungen dazu bereit finden. Auch die in der Organisation mit gleichen Rechten vertretenen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften müssen zustimmen. Und hier gibt es noch eine ganze Reihe von Differenzen. So lehnen die Arbeitgeber die Verpflichtung ab, auch Beinahe-Unfälle gegenüber den zuständigen Kontollbehörden anzuzeigen. Andreas Zumach
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