: MEPHISTO GEGEN CAMEL-MAN
■ Das „Ostböhmische Puppentheater“ DRAK im Bethanien
Da waren sich meine lieben Freunde aber einmal alle einig. Auch wenn sie sonst recht scharf auf Premierenkarten sind und mich gern ins Theater begleiten, aber den Samstag abend im „Ostböhmischen Puppentheater“ zu verbringen, nein, schönen Dank, da soll ich doch lieber allein hingehen. Ein andernal vielleicht, wenn eine aufregende Inszenierung zu erwarten sei, mit nackten „Lulu-Brüsten“ zum Beispiel, dann gerne, oder wenigstens ein vielversprechendes Stück, das man gesehen haben muß, wie den neuen Botho Strauß, den man dann sowieso zu elitär finden wird, aber „Ostböhmisches Puppentheater“, nein danke das muß doch wohl nicht sein. Nun jetzt, wo der Vorhang gefallen ist, müssen wenigstens für dieses eine Mal mit ihm auch die Vorurteile fallen. Es handelt sich bei „Das Lied des Lebens“ nach dem Stück „Der Drache“ von Jevgenj Svarc der Gruppe DRAK (Ostböhmisches Puppentheater) nicht um pädagogisch-wertvolles, bemühtes Kasperletheater. DRAK zündete in der Studiobühne des Bethanien ein Feuerwerk, kurz, heftig und hell brennend, genauso, wie die wichtigen Dinge im Leben sein müssen zumindest aber das Theater.
Die Geschichte ist so einfach wie gerade noch möglich und schon oft erzählt worden, aber noch nie so. Es geht wie immer um das eine. Lancelot, der gute edle Ritter, liebt das Mädchen Elsa. Die Jungfrau soll aber in diesem Jahr von den Dorfbewohnern einem Drachen, der archaischen Animalisation des Bösen, geopfert werden. Alle sind von dem Tyrannen, der in dieser Bearbeitung nicht Märchentier, sondern Mensch ist, eingeschüchtert, niemand wagt der Macht des Bösen zu widersprechen. Lancelot, ein Typ wie aus der Camel-Reklame, blond, naturverbunden, zuverlässig, und immer unterwegs zur guten Tat, fordert den Herrn der Finsternis zum Kampf.
Ihrem Reiz gewinnt die Inszenierung durch die Kombination von Puppen und Schauspielern. Durch die Schauspieler wird auch die Bühnenwelt nicht ins Puppenhafte verkleinert. Im Gegenteil, durch eine ausgefeilte Lichttechnik, zum Beispiel mit überaus präzisen Verfolgerscheinwerfern, gewinnt die kleine Spielebene und der sie umgebende Raum eine Tiefe, die die finstere Höhle des Drachen viel besser zu suggerieren weiß, als ein realistisches Bühnenbild dies könnte. Plötzlich wirken die Spielpuppen, die die eingeschüchterten Dorfbewohner darstellen, wirklich ganz einsam und verlassen. Der Tyrann bedroht die im Dunklen stehenden Puppen mit seiner unbesiegbaren Wunderwaffe, dem scharfen Lichtstrahl eines Handspiegels, der das Scheinwerferlicht auffängt, ganz eng fokussiert und durch schnelle Bewegungen der Spiegelfläche in eine Laserkanone oder einen Flak -Scheinwerfer verwandelt. Überhaupt ziert sich DRAK nicht allzu sehr damit, dem Märchenstoff vom immerwährenden Kampf des Guten gegen das Böse die von Jevgenj Svarc 1943 intendierte politische Zielrichtung zu geben. Erklingt zum Auftritt des Tyrannen der aus „2001“ bekannte Soundtrack, so trägt der Schauspieler, im Kontrast zum naturfarbenen Lancelot, faschistisches Schwarz und Reitstiefel und spielt die Figur mit dem diabolischen Zynismus, mit dem Klaus-Maria Brandauer schon seinen Mephisto versuchte. Durch die Verfremdung und Verlagerung der Spielhandlung in die entlegene Welt des „Oostböhmischen Puppentheaters“, ausgestattet mit sparsamen, aber überaus originellen technischen Mitteln, teilt sich dem Zuschauer die historische Erfahrung des Faschismus und vor allem die damit verbundenen Gefühle der Isolation und des Ausgeliefertseins viel eher mit als in einem aufwendigen Kinofilm.
Heute abend spielt DRAK im Studio 1 des Künstlerhauses Bethanien das Stück „Die verkaufte Braut“ von Smetana um 20 Uhr.
Susanne Raubold
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen