piwik no script img

MADE IN GERMANYNobel bleiben, Frau Merkel!

Zu hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

Der Friedensnobelpreis zeichnet traditionell Menschen wie Mutter Teresa oder Henry Kissinger aus. Schon deswegen war es keine Überraschung für mich, dieses Jahr die Kanzlerin von einer Woge der bürgerlichen Begeisterung auf die Wunschkandidatenliste gehievt zu sehen. Schließlich rettet die Kanzlerin seit Monaten verlorene Menschen aus aller Welt mit derselben Selbstverständlichkeit, Überzeugung und Hingabe, mit der sie seit fast einem halben Jahrzehnt erfolgreich einen wirtschaftlichen Flächenkrieg in Südeuropa führt.

Dank Frau Merkel muss ich in Portugal nur selten einen Tisch im Restaurant reservieren, meistens sind die leer oder haben schon geschlossen. Meine Freunde haben immer Zeit für mich, weil sie arbeitslos sind. Und in Deutschland kann ich mich immer öfter auf Portugiesisch unterhalten: mit dem Pflegepersonal in Kliniken, Altenpflegern, Reinigungspersonal oder Ärzten.

Frau Merkel war wochenlang die perfekte Kandidatin. Es wäre nur gerecht, wenn sie den Preis schon aus geopolitischen Gründen bekommen hätte: Bisher haben vier Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika den Nobelpreis bekommen und erst zwei deutsche Kanzler. Einer zählt aber nicht, weil er nur Reichskanzler war. Auch Frankreich, Großbritannien oder Schweden haben mehr Friedenspreisträger als Deutschland, das punktgleich den fünften Platz mit Südafrika teilen muss. Ist das angemessen? Fußball- und Exportweltmeister schön und gut – aber die inneren Werte? Das sollte Deutschland ein Ansporn sein.

Ich bewundere Nobelpreisträger allgemein und gönne der Kanzlerin den Friedensnobelpreis. Günter Grass, der gern in Südeuropa, an der Algarve, seinen persönlichen Frieden suchte (am Strand bin ich einmal diskret hinter ihm in seinen Fußstapfen im Sand gelaufen), hat wahrscheinlich nur den Literatur- und nicht den Friedensnobel bekommen, weil er bei der SS war.

Obwohl Dynamit und Sprenggelatine, eine Erfindung Alfred Nobels, ziemlich lukrative Geschäfte gewesen sein müssen, wird der von Nobel gestiftete Friedenspreis nur einmal jährlich vergeben. Ich war enttäuscht, dass der Preis diesmal an das Tunesische Quartett für den nationalen Dialog ging. Ich empfinde es als unmenschlich, wenn nicht lebende, sondern juristische Personen den Preis bekommen. Es ist, als würde der Preis der Bundeswehr verliehen wegen, sagen wir, ineffizienter Waffensysteme, statt ihn von der Leyen zu geben.

Nächstes Jahr rechne ich wieder mit Ihnen, Frau Merkel! Vielleicht sollten Sie kurz vor den letzten Sitzungen des Preiskomitees wieder etwas Gutes tun. Politische Ämter sind vergänglich. Nobel bleiben. Nur übertreiben sollten Sie nicht – die Abwählbarkeit! Manche Bürger sehen ja schon Barackenlager im Vorgarten und fühlen sich in Köln und Konstanz, als wären sie in Kabul oder Kalkutta.

Mein Vorschlag: Sie könnten erst einmal 15 Millionen Iberer aus der Armut befreien, in die Sie das deutsche Spardiktat und die Bankenhilfspakete getrieben haben. Dafür müssten Sie nur hören, was ein Herr Krugman oder ein Herr Stiglitz zu sagen haben. Die beiden haben ihre Nobelpreise übrigens schon bekommen – natürlich nur in den Wirtschaftswissenschaften.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen