Lyrikband einer Bremer Autorin: „Sprachlosigkeit bedeutet, sich nicht wehren zu können“
Donka Dimova schreibt über die bulgarische Community in Bremen-Gröpelingen. Sie will Menschen eine Stimme geben, die sonst häufig ungehört bleiben.
taz: Frau Dimova, was ist Gröpelingen in Bremen für ein Stadtteil?
Donka Dimova: Gröpelingen ist ein sehr bunter Stadtteil, der geografisch gesehen zwar mitten in Bremen liegt, aber letztendlich immer am Rand bleibt. Die Menschen, die dort leben, finden häufig keinen guten Anschluss an andere Stadtteile. Seit den 1960ern ziehen immer neue Menschen nach Gröpelingen. Das liegt daran, dass in der Nähe das Hafengebiet ist und Menschen im Hafen und der Werft Jobs gefunden haben. Über die Jahre ist dann eine gute Infrastruktur entstanden: Lebensmittelgeschäfte, Moscheen, mehrsprachige Beratungsstellen, Kindergärten oder Arztpraxen. Seit dem EU-Beitritt von Bulgarien kommen auch viele Bulgar*innen nach Gröpelingen.
taz: Ihr Buch basiert auf realen Menschen, denen Sie in Ihrer Arbeit als Sozialberaterin in Gröpelingen begegnet sind. Warum war es Ihnen wichtig, ihre Geschichte zu erzählen?
Dimova: Viele Menschen aus der bulgarischen Community können ihre Geschichten nicht selber erzählen, sie bleiben unsichtbar. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, diese Geschichten zu erzählen und dabei so nah wie möglich an den Charakteren und den ursprünglichen Gedanken zu bleiben.
1986 geboren, ist Autorin und Lyrikerin. Sie ist selber aus Bulgarien zugewandert und arbeitete als Bildungs- und Sozialberaterin in Gröpelingen. 2022 erhielt sie das Bremer Autor*innenstipendium.
taz: Ihr Buch heißt „Mehrfamilienhaus ohne Aussicht“. Können Sie das Haus beschreiben?
Dimova: Es gibt einige solche Häuser. Das sind häufig bunte, aber leider auch oft heruntergekommene Häuser. Es gibt dieses gesellschaftliche Bild, dass Häuser, in denen Bulgar*innen leben, dreckig sind, mit Sperrmüll vor der Tür. Das ist jedoch nicht die Schuld der Menschen, die dort leben, sondern eine Klassenfrage. Die bulgarische Community ist häufig von Armut und Diskriminierung betroffen. Diese Armut und Diskriminierung haben sie schon in Bulgarien erfahren, teilweise seit vier Generationen, denn bulgarische Türk*innen oder Roma wurden schon in Bulgarien segregiert. Das muss man wissen, um zu verstehen, warum jemand nach Deutschland kommt, um hier in einer heruntergekommenen Kellerwohnung zu leben und einen prekären Job zu machen.
taz: Sie widmen das Buch „all jenen, die sprachlos ihre Wege bestreiten“. Was bedeutet Sprachlosigkeit?
Dimova: Ich versuche den Menschen eine Sprache zu geben, die sie sonst nicht haben. Sprachlosigkeit bedeutet, sich den Missständen nicht entgegensetzen zu können, sich nicht gegen Ungerechtigkeiten wehren zu können, wenn man zum Beispiel aus dem Haus gekündigt wird, wenn der Lohn nicht bezahlt oder die Kinder gemobbt werden. Sprachlosigkeit ist ein großes Stigma. Die bulgarische Community bleibt häufig in sich geschlossen. Es passiert viel innerhalb der Community und es dringt wenig nach außen. Ein skurriles Beispiel: Es ging das Gerücht um, dass ein weißer Transporter durch Gröpelingen fährt und Kinder entführt. Es wurde mit niemandem geredet, weder mit Schulen noch mit der Polizei oder sonstigen Behörden, aber eine Zeit lang hatten alle wahnsinnig viel Angst vor weißen Transportern. Diese Angst bleibt in der Community. So wird die Community gleichzeitig auch ein Schutzraum, eine Möglichkeit, sich auszutauschen und Halt zu suchen.
Buchpremiere von „Mehrfamilienhaus ohne Aussicht“ (Klak Verlag, 2025) im Kukoon, Buntentorsteinweg 29, 28201 Bremen. Die Lesung wird begleitet von bulgarischer Folklore von Radka Raykova, Eintritt frei.
taz: Wie hilft Sprache dabei, einen Platz zu finden?
Dimova: Mir ist es wichtig zu sagen, dass nicht nur gute Sprachkenntnisse ein Kriterium für ein gutes Leben sind. Auch Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen, können wunderbare Beispiele für Mut, Stärke und Verbundenheit sein. Ich finde es schade, dass Menschen aus der bulgarischen Community nicht die Möglichkeit haben, ihre Geschichten selbst zu erzählen. Wenn wir uns verstehen wollen, müssen wir uns verständigen. Diese Verständigung funktioniert nicht nur über Sprache, sondern durch ein gegenseitiges Interesse und den Wunsch, miteinander zu kommunizieren.
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