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„Lustig wird das nicht“

■ betr.: „Es wird lustig werden“, taz vom 2.12.93

Michael Sontheimer spricht einem so richtig aus dem Herzen: Alle, die schon so lange auf den Niedergang der Kohl-Regierung hofften „und ihn mit Genuß und Freude verfolgen können, brauchen nur abzuwarten. Es wird lustig werden.“

Tatsächlich hat Kohl die sogenannte Wende wahr gemacht, nämlich die Durchsetzung des strikten Primats der einzelwirtschaftlichen Gewinnmaximierung. Einher ging damit die Abwertung und Hintanstellung des soziokulturellen Bereichs: des Rollbacks in der Kultur- und Kultuspolitik, in der Arbeits(zeit)organisation, damit verbunden die verschärfte soziale Spaltung der Gesellschaft, der Verzicht auf staatlich initiierten Umweltschutz und die Zerschlagung aller staatlichen Betriebe hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Aufgaben.

Schwerwiegender dürften aber die Folgen für die politische Kultur, das legitimistische Zusammenspiel der gesellschaftlichen Teilbereiche, für die bundesrepublikanische Demokratie überhaupt sein. Der autoritäre und populistische Führungsstil Kohls hat die seit den sechziger Jahren erworbene Struktur repräsentativer Parteiendemokratie, die neue demokratische Offenheit signalisierte, völlig umgekrempelt. Das drückte sich nicht zuletzt in der innerparteilichen Ausschaltung aller „Konkurrenten“ Kohls aus, die die Anpassungsfähigkeit einer (Regierungs-)Partei an neue gesellschaftliche Entwicklungen verhinderte.

Aber: Der cäsaristische Führungsstil des Staats- und Parteichefs Kohl hat keineswegs zur restaurativen Starrheit der Adenauer-Ära zurückgeführt, sondern vielmehr mit dem umfassenden gesellschaftlichen Strukturierungsmoment des Primats der einzelwirtschaftlichen Gewinnmaximierung eine gesamtgesellschaftliche, individuell betreffende Verunsicherung zur Folge gehabt. „Ordnung“ wurde durch das in der Person Kohls vereinigte Macht- und Stabilitätszentrum garantiert. Mit dem Verlust dieser Position Kohls, der Alternativlosigkeit der CDU und einer SPD, die bis jetzt keine überzeugende Alternative darstellt oder zukunftweisende, integrierende Konzepte vorlegen kann, greift die gesellschaftliche Verunsicherung auf das politische System, auf die Demokratie selbst über.

Nicht nur die Starrheit des Rahmens der Kohlschen Politik hat in den letzten zwölf Jahren einen ökologisch-sozialen Umbau verhindert, die zunehmende Instabilität verringert den Spielraum der notwendigen Reformen weiter. Angesichts dieser Entwicklung müßten v.a. die Grünen ihr Verhältnis zu „Stabilität“ und einer verbindlich demokratisch-sozialen Ordnung neu definieren. Gesellschaftliche Verunsicherung und politisch-demokratische Instabilität darf man nicht allzu leichtfertig mit „Offenheit“ gleichsetzen. Lustig wird das nicht. Markus Timmermeister,

Mitglied der Grünen, Osnabrück

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