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Lust der Ohren ist Sinn der Oper

betr.: „Ohne Skandale ist Oper nur halb so schön“, taz vom 18. 5. 00

[...] Dass der Opernbetrieb in Berlin zu teuer sei, ist seit längerem bekannt und so platt wie wahr. Dass das Inszenieren von Opern ein schwieriges Unterfangen ist und heutzutage häufig daneben geht, ebenso. Dass Sie empfehlen, sich an das Offensichtlichste und Sensationellste zu halten, an den Presse- und Kassenerfolg des Neuenfelsschen „Nabucco“, ist falsch und opportunistisch.

[...] Können oder wollen Sie die Differenz nicht sehen zwischen Friedrichs schöner und schwieriger „Maskenball“-Inszenierung zum Beispiel, oder Kupfers „Fidelio“ und den ästhetisch infamen Scherzen eines Neuenfels mit dem „Trovatore“ oder mit dem von Ihnen so herausgestrichenen „Nabucco“ mit der stimmigen Kasse? Ist es wirklich ein Maßstab für Qualität, wenn die Blätter sich reichlich geregt haben und alle, alle kamen? Ich habe bei der „Nabucco“-Inszenierung nur eines gesehen: Neuenfels kann, wie Sie sagen, die Geschichte der babylonischen Gefangenschaft der Juden in der Fassung Verdis tatsächlich nicht erzählen, wie anno 1842 in Mailand, er kann es überhaupt nicht. Das liegt jedoch nicht am Holocaust, sondern an der allgemeinen und besonderen Verwahrlosung des gegenwärtigen Musiktheaters, in dem das Sichtbare mit dem Hörbaren nichts mehr zu tun haben soll, weil das weniger anstrengend ist. [...]

Sie nennen den Teil des Publikums bieder, der diese Oper wegen des „ohrwürmelnden Gefangenenchors heimsucht“ und dem das Neuenfelssche Event missfiel. Wissen Sie nicht oder wollen Sie nicht wissen, dass der Ohrwurm, die Lust der Ohren, unter anderem der Sinn der Oper ist? Sie reden dem gegenwärtigen Unglück des Musiktheaters das Wort, dem Unglück, an dem viele eine besondere, eine böse Freude haben, die Freude nämlich, es der Oper heimzuzahlen, dass sie so schön ist, so alt und so anspruchsvoll. Eine Zumutung eben. Ist denn die Schönheit dem Menschen nicht mehr zumutbar? ANTJE MARIA ANSORGE, Berlin

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