Lukrativer Export: Der Victoriabarsch entzweit Ostafrika
Eine Felsinsel bringt Uganda und Kenia an den Rand einer Konfrontation. Der Grund: Die Insel liegt in einem reichen Fischfanggebiet für den lukrativen Viktoriabarsch.
AUS KAMPALA SIMONE SCHLINDWEIN
Die Insel Migingo ragt aus dem Viktoriasee wie ein Schildkrötenpanzer. Kein Grashalm wächst auf dem Felsen, kleiner als ein Fußballfeld. Dennoch hausen darauf rund 400 meist betrunkene Fischer. Sie schlafen dicht gedrängt in windschiefen Wellblechhütten und teilen sich zwei Latrinen, um die die Fliegen schwirren. Es ist heiß und es stinkt nach Fisch.
Dennoch hat dieser Felsen fast zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den Nachbarländern Kenia und Uganda geführt. Beide beanspruchen die Insel für sich. Über den Hütten weht allerdings die ugandische Flagge - schwarz-gelb-rote Streifen mit dem Kranich. Zur Verteidigung des Nationalemblems hat Uganda drei Soldaten, ein Dutzend Polizisten und acht Marineoffiziere auf dem Felsen postiert - mehr Uniformierte würden nicht Platz finden.
Regelmäßig streiten sich auf der Insel kenianische und ugandische Fischer; mehrfach wurde die ugandische Flagge auf- und wieder abgehängt. Minister beider Länder leisteten sich jetzt einen heftigen Schlagabtausch, die Medien hetzen. In Kenias Hauptstadt Nairobi zerstörten randalierende Jugendliche die Bahngleise, um den Transitgüterverkehr vom Indischen Ozean nach Uganda zu stoppen. 40 Güterwaggons stecken seitdem in Nairobi fest. Uganda und die zentralafrikanischen Nachbarn Ruanda, Demokratische Republik Kongo und Burundi sind abhängig von dieser Eisenbahntrasse. Jetzt werden hier die Rohstoffe teurer, weil sie per Lastwagen angeliefert werden müssen. Ruandas Präsident Paul Kagame versucht zu vermitteln. Als derzeitiger Vorsitzender der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) rang er seinen ugandischen und kenianischen Kollegen das Versprechen ab, eine diplomatische Lösung zu finden.
Migingo liegt in einem der fischreichsten Gewässer des Viktoriasees. Bis zu drei Tonnen Viktoriabarsch sollen täglich auf dem winzigen Felsen umgeschlagen werden. Mit dem edlen Speisefisch verdienen die ansässigen Fischer umgerechnet mehrere hundert Euro pro Tag.
Viktoriabarsch zählt zu den lukrativsten Exportprodukten Ugandas und Kenias. Fast 70 Prozent seines Fangs exportiert Uganda nach Europa. Dort zahlen Gourmets für die Delikatesse rund 17 Euro pro Kilo. Zum Vergleich: Auf Migingo wird das Kilo für 1,50 Euro gehandelt.
Ein so lukrativer Fisch wird natürlich überfischt. Die Barschbestände im Viktoriasee sind in den letzten zehn Jahren von 8,8 auf 1,3 Millionen Tonnen gesunken, die Zahl der Fischer um über 50 Prozent gestiegen.
Einer der Fischer ist Joseph Nsubuga. Der Ugander landete 2004 auf Migingo, sechs Stunden mit dem Motorboot vom ugandischen Festland entfernt. Auf dem Felsen fand er eine verlassene Hütte, in der er übernachtete. Nach einer Woche trafen weitere Fischer ein. Die meisten waren Kenianer, die Nsubuga den Barsch abkauften und ihn auf das zwei Stunden entfernte kenianische Festland lieferten. Die kenianischen Fischer waren von Anfang an der Überzeugung, dass die Insel ihnen gehört, weil sie viel näher an Kenia liegt als an Uganda. Das Wort Migingo entstammt der Sprache des westkenianischen Volkes der Luo und heißt abgelegenes Land.
Doch es war Uganda, das zuerst seine Besitzansprüche in Form der Nationalflagge in den Felsen rammte. Nsubuga wurde zum Verantwortlichen für die Fischereilizenzen ernannt, Steuern wurden eingeführt, die Kenianer sollten nun als Ausländer fünfmal so viel auf ihre Erträge bezahlen wie die Ugander. Manche kenianischen Fischer begannen ihren Fang nicht mehr auf Migingo umzuschlagen, sondern ans kenianische Festland zu bringen - obwohl er aus ugandischer Sicht in ugandischen Gewässern gefangen wurde. Uganda entsandte Polizisten nach Migingo. Einige Kenianer wurden festgenommen. Da schaltete sich Kenias Regierung ein.
Auf einem Ministertreffen wurde eine ugandisch-kenianische Kommission eingerichtet, welche die Zugehörigkeit der Insel und den Grenzverlauf prüfen soll. Das britische Kolonialgesetz über den Grenzverlauf aus dem Jahr 1926 wird zu Rate gezogen. Dabei ergibt sich ein Problem: Der rund fünf Meter hohe Felsen existierte damals nicht. Er tauchte erst in den 60er-Jahren aus dem See auf, als der Wasserspiegel stark sank.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland