■ Das Portrait: Luis Donaldo Colosio
Blaß wirkte er, schüchtern und uninteressant. Präsident Mexikos sollte er eigentlich werden. Luis Donaldo Colosio, 44 Jahre alt, wurde in der Nacht zum Donnerstag während einer Wahlkampfrede in Tijuana erschossen.
Als er im vergangenen November zum Kandidaten der Regierungspartei PRI gekürt wurde, stand auf den Titelseiten der Zeitungen nur in Riesenlettern: „Colosio!“ Und das reichte eigentlich auch. Denn während seine beiden Konkurrenten um die PRI- Kandidatur, der Ex-Bürgermeister von Mexiko-Stadt Manuel Camacho Solis und Finanzminister Pedro Aspe, mit ausgefeilten programmatischen Entwürfen ins Rennen gezogen waren, hatte Colosio nichts, womit man ihn hätte umschreiben können. Außer natürlich der treuen Gefolgschaft zu Präsident Carlos Salinas, dessen Wahlkampf er einst geleitet hatte. Das aber ist einiges wert, gilt doch das ungeschriebene Gesetz, daß der Präsident selbst am Ende mit gewaltiger Stimme und ausgestrecktem Zeigefinger seinen Nachfolger bestimmt. Und der wird gewählt. So war es immer, so würde es wieder sein.
Der ermordete Präsidentschaftskandidat Foto: Reuter
Das war im November, einen Monat vor dem Chiapas- Aufstand. Sozialminister Colosio, der profillose Verwalter des mexikanischen Pronasol-Programms zur ländlichen Entwicklung, schien genau der richtige, um eine reibungslose Nachfolge zu garantieren. Veränderung war von ihm nicht zu erwarten, aber er störte auch nicht. Colosio – eine vollkommene Schöpfung des alten Systems.
1950 als Mittelschichtskind geboren, Schulbester, Stipendien, schließlich Ökonomie-Studium in den Vereinigten Staaten, Beitritt zur PRI mit 22 Jahren. 1985 wird er ins Parlament gewählt, bereitet Salinas' Wahlkampf vor, wird Senator und Minister. Seine Blitzkarriere kostet ihn die innere Ruhe: Noch als Minister soll er täglich mehrere Sitzungen mit einem Psychotherapeuten absolviert haben.
Der Aufstand von Chiapas und die Reaktionen der mexikanischen Öffentlichkeit darauf griffen genau das wenige an, wofür Colosio stand – Kontinuität. In der PRI selbst wurden die Stimmen gegen ihn lauter, Unterschriften wurden gesammelt, um doch noch den populär gewordenen Camacho Solis zum Kandidaten zu küren. Der hatte sich als Friedensemissär gegenüber den Zapatista-Guerillas profiliert, erklärte aber vor zwei Tagen, definitiv nicht kandidieren zu wollen. Einen Tag später war Colosio tot. Bernd Pickert
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