Luftschlag: Staatsschutz jagt Plattfüße
Die Polizei nimmt ein Trio fest, das Luft aus den Reifen von Luxuskarossen abgelassen haben soll. Die Behörde hält die Männer 15 Stunden fest. Dabei sind sich Juristen nicht mal einig, ob Luftablassen Sachbeschädigung ist.
Der Staatsschutz kümmert sich neuerdings um sehr luftige Angelegenheiten. Wer aus Autoreifen Luft ablässt, um Sprit schluckende Luxuslimousinen kurzzeitig lahmzulegen, muss mit harten polizeilichen Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen rechnen. Das zeigt das Vorgehen der Behörde bei den jüngst festgenommenen Umweltaktivisten. "Aus einem Fahrradreifen die Luft abzulassen gilt als Dummer-Jungen-Streich, bei einem Geländewagen wird es aber zur politisch motivierten Tat hochgejazzt", sagte Anwalt Sven Lindemann gestern der taz. "Das ist absolut unverhältnismäßig." Auch der Rechtsanwalt eines anderen Verdächtigen übte scharfe Kritik am Staatsschutz.
Zivilfahnder hatten am Mittwochmorgen um 2.45 Uhr drei junge Männer im Alter von 23, 24 und 25 Jahren in Wilmersdorf festgenommen. Eine Anwohnerin hatte die Polizei gerufen. Nach Angaben eines Sprechers kontrollierten die Beamten daraufhin die angrenzenden Straßen - und erwischten die drei dabei, wie sie gerade die Luft aus dem Reifen eines Autos ließen. "Sie hatten zudem Handzettel bei sich, die auf die möglichen Auswirkungen der Nutzung hochmotorisierter Autos für den Klimawandel hinwiesen." Auch die Fotografen der Boulevardpresse waren auf wundersame Weise informiert - und Minuten nach den Festnahmen zur Stelle.
Dem Trio wird Sachbeschädigung in acht Fällen vorgeworfen. Die Fahrzeuge seien ja zunächst nicht mehr funktionstüchtig und insofern beschädigt, erklärte der Polizeisprecher. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Sonst verfolgen die Beamten Straftaten mit politischem Hintergrund, etwa von Links- oder Rechtsextremisten. Nun kümmern sie sich um Plattfüße. Und prüfen, ob ein Zusammenhang besteht zu den insgesamt knapp 190 anderen Fällen von Autos, bei denen in den vergangenen Monaten die Luft abgelassen wurde. Nach Angaben des Polizeisprechers sind in der Nacht zu Mittwoch auch an zwei Wagen in Lichterfelde die Ventile geöffnet worden. Man gehe von einer Gruppe aus. "Die Ermittlungen werden sich auch auf das Umfeld der drei Männer konzentrieren."
Nach taz-Informationen studiert ein mutmaßlicher Luftablasser, der Kreuzberger Jochen S.*, Politikwissenschaften. Schon bei den G-8-Protesten in Rostock hatte er sich politisch engagiert. Als Clown wollte er den Mächtigen der Welt, aber auch den Demonstranten einen Spiegel vorhalten. Die taz führte im Vorfeld ein längeres Interview mit ihm. Darin sagte er: "Ich kann sehr gut verstehen, wenn die Menschen wütend werden. Und ich finde es auch wichtig, Wut zu leben. Wie man das tut, kann jede und jeder für sich entscheiden. Und da steht für mich persönlich eben Gewalt nicht zur Debatte, ziviler Ungehorsam schon eher. Dennoch bleibe ich dabei: Widerstand muss zärtlich sein."
An die Autos hatten die Luftablasser Zettel geklemmt, die auf den platten Reifen und die Klimaerwärmung hinwiesen. "Wir wären Ihnen sehr verbunden", schreiben sie darin, wenn Sie "die kurzfristige Stilllegung Ihres Riesenautos in eine langfristige verwandeln würden."
Bei den drei Verdächtigen ordnete das Amtsgericht Tiergarten Hausdurchsuchungen an, die Beamten beschlagnahmten laut Anwalt Lindemann Computer und Drucker. "Es wird versucht, die Motivation zu kriminalisieren - und nicht die Tat." Sein Mandant und er prüfen eine Klage gegen die Durchsuchungen. Zudem hielt die Polizei die drei über 15 Stunden fest - was die Anwälte als Einschüchterungsversuch interpretieren. "Die Sache wird von den Behörden auf ein viel zu hohes Niveau gehievt", sagte Anwalt Rüdiger Jung. Beim Luftablassen gehe es darum, Autobesitzer zu ärgern, die dann zur Tankstelle laufen müssten. "Das ist plakativer Protest gegen Umweltverschmutzung."
Ob Luftablassen unter Sachbeschädigung fällt, ist unter Juristen strittig. Während die Polizei das Nichtfunktionieren der Spritfresser anführt, argumentieren die Anwälte anders: "Das wäre ja eine Sachbeschädigung mit einer Schadenssumme von null Euro", sagte Lindemann. "Wenn man Ventile blockiert, ist der Schaden minimal." Diese Lesart bestätigten Autohändler (siehe Kasten). Auch der Bundesgerichtshof hat sich bereits mit platten Reifen an Autos befasst. Das Ablassen der Luft aus nur einem Reifen sei dann keine Sachbeschädigung, wenn der Fahrer ein Ersatzrad bei sich führe und keine Umstände vorlägen, die das Wiederaufpumpen erschwerten, urteilten die Richter. Ein erschwerender Umstand ist für sie das Luftablassen an einem abgelegenen Ort - die Verdächtigen wurden, wie bereits erwähnt, in Wilmersdorf gefasst.
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