Luftfilter in Schulen: Luftnummer oder Durchatmer?
Angesichts steigender Inzidenzen wachsen die Sorgen vor dem Herbst mit Regelbetrieb. Die Bildungsverwaltung will über mehr Luftfilter beraten.
Allerdings wolle man „unter anderem“ die Anschaffung weiterer Luftfiltergeräte „prüfen“, wie ein Sprecher von Scheeres der taz auf Anfrage sagte. In welcher Größenordnung das Land möglicherweise zusätzliche Geräte bestellen will und wann die ersten in den Schulen ankommen könnten, ist allerdings noch unklar.
Der Sprecher sagte weiter, der Hygienebeirat werde in jedem Fall noch vor Schuljahresbeginn zusammenkommen, um sich „mit dem Hygienekonzept und sicherlich auch der Ausstattung mit Luftfiltern sowie weiteren Fragen“ zu beschäftigen.
Die Luftfilterdebatte hatte zuletzt an Fahrt aufgenommen, als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Ziel ausgegeben hatte, dass bis zum Ende der Ferien in jedem Klassenzimmer in Bayern ein Luftfilter stehen müsse. Das bayerische Kabinett gab dafür in der vorigen Woche 190 Millionen Euro frei. In Nordrhein-Westfalen fordert eine Elterninitiative ebenfalls flächendeckende Filterausstattung, allerdings bisher vergeblich.
In Berlin ist die Position der Schulsenatorin bisher: Luftfilter ja, aber nur da, wo das Lüften nicht ausreichend funktioniert. Dafür haben die Bezirke in den Schulen bereits im vergangenen Jahr die Bedarfe abgefragt. 15 Millionen Euro hat die Finanzverwaltung bisher freigegeben. In drei Tranchen sollen bis Schuljahresbeginn insgesamt 7.748 Geräte ausgeliefert werden, wie Scheeres zu Ferienbeginn mit Vorausblick auf das neue Schuljahr sagte.
Klar sei aber auch: Die Filter sind nur als „flankierende Maßnahme“ gedacht. Es bleibe beim Lüften als Mittel der Wahl zur Reduzierung von Aerosolen im Raum, hatte ein Sprecher der taz dazu gesagt.
Die vierte Welle droht
Nun aber hat sich seit Ende Juni, als in Berlin die Sommerferien begannen, das Infektionsgeschehen verändert. Zugleich hat die Dynamik beim Impftempo nachgelassen, wie auch der Chef des Berliner Hausärzteverbands der taz berichtet; die Impfbereitschaft sinkt. In den Impfzentren bekommt man momentan kurzfristig Termine für Impfungen mit den Wirkstoffen von Moderna und Astrazeneca.
Das bisherige Hygienekonzept von Scheeres sieht vor, dass SchülerInnen sich in der ersten Woche dreimal statt wie vor den Ferien zweimal selbst testen sollen. So hofft man, einem möglicherweise erhöhten Infektionsgeschehen durch Urlaubsreisen zu begegnen. Auch eine 14-tägige Maskenpflicht im Unterricht soll es geben.
Die Frage ist, ob das ausreicht – und vor allem, ob ein Umsteuern noch ausreicht, wenn die Inzidenzen erst wieder kräftig steigen sollten – oder ob es dann nicht zu spät ist. „Wir erwarten natürlich, dass man sich in der Bildungsverwaltung mit der aktuellen Studienlage über die Ferien auseinandersetzt“, sagt der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise, der taz. Denn immerhin bauten die Eltern auch auf „die politische Zusage, dass es nach den Ferien Regelunterricht geben wird.“
Das Hygienekonzept der Bildungsverwaltung für den Schuljahresstart am 9. August baut auf die beiden Säulen Testen und Masken: SchülerInnen müssen sich in der ersten Woche dreimal selbst testen, danach zweimal. Auch das pädagogische Personal testet sich zweimal pro Woche. In den ersten beiden Schulwochen gilt eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen. Dafür beschafft die Bildungsverwaltung derzeit über 2 Millionen FFP2- und OP-Masken.
Das Lüften ist ebenfalls zentraler Bestandteil des Hygienekonzepts. Die Bildungsverwaltung beruft sich hier auf die Empfehlungen des Umweltbundesamts. Das empfiehlt Luftfilter bisher nur „allenfalls als Ergänzung“ zum „intervallartigen“ Stoßlüften. (akl)
Heise ist eher skeptisch, ob die Luftfilter wirklich der Game Changer sein können für die Schulen in einer möglicherweise drohenden vierten Welle. „Der bisherige Ansatz, dass bedarfsgerecht geschaut wird, wo Lüften eventuell schwierig ist, erscheint mir sinnvoller, als die Geräte mit der Gießkanne zu verteilen.“
Heise merkt allerdings auch an, dass es mit der bedarfsgerechten Steuerung in den vergangenen Monaten nicht immer funktioniert habe. Die letzten beiden Tranchen wurden nämlich zentral von der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH statt von den Bezirken geordert. Da hätten Schulen plötzlich durchaus überraschend Geräte von der BIM bekommen – für die sie mitunter zumindest spontan keine Verwendung hatten.
Nicht effizienter als Lüften?
Welchen Nutzen die Filter tatsächlich haben, ist derweil noch immer recht ungeklärt. Eine erste breiter angelegte Studie unter Real- statt Laborbedingungen, die die Stadt Stuttgart in Auftrag gegeben hat, deutet offenbar darauf hin, dass der Effekt der Geräte eher überschaubar ist. Die Studie wird voraussichtlich erst im Laufe des Monats veröffentlicht. Medienberichte zitieren allerdings bereits Ergebnisse, wonach die Filter nicht effizienter seien als ordnungsgemäßes (Quer-)Lüften.
In Berlin läuft jetzt, in wesentlich kleinerem Rahmen, ein Modellprojekt mit Luftfiltern in zwei Kitas der Eigenbetriebe SüdOst in Neukölln und Treptow-Köpenick an. „Wir wollen nachvollziehen, inwiefern Luftfilter ein geeignetes Mittel sein können, um das Infektionsgeschehen in den Kitas zu reduzieren“, sagt der Neuköllner Jugenstadtrat Falko Liecke (CDU) der taz.
Zuvor hatten sich Eltern der SüdOst-Kitas in der Reuterstraße und Am Treptower Park für ein solches Modellprojekt eingesetzt. Wie viele Geräte welchen Typs angeschafft werden sollen und wer die wissenschaftliche Begleitung des Projekts übernehmen soll, ist allerdings noch nicht geklärt. Man wolle dafür nun eine Kooperation mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales abstimmen, sagt Liecke. Momentan beantrage der Bezirk Fördergelder des Bundes für das Vorhaben. Dann sei auch klar, in welchem Umfang Geräte beschafft werden könnten.
Gernot Klemm (Linke), Lieckes Amtskollege in Treptow-Köpenick, klingt allerdings schon jetzt einigermaßen skeptisch: Luftfilter „erfordern Wartungs- und Reparaturaufwand, müssen in die Kitaorganisation integriert werden und sind zudem sowohl in Anschaffung als auch im Unterhalt sehr kostspielig“, lässt er sich in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Bezirke zitieren. Gleichzeitig sei „unklar, ob sie einen relevanten Nutzen bringen“.
Das allerdings ist ein dringender werdendes Erkenntnisinteresse, dass Klemm mit vielen Berliner Eltern teilen dürfte.
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