Luftangriff auf Taliban: Viele Fragen, wenig Aufklärung

Minister Franz Josef Jung räumt erstmals die Möglichkeit ziviler Opfer ein. Wie viele Tote es beim Luftangriff am Fluss Kundus gab, ist weiterhin unklar.

Umstrittene Erklärungen: Verteidigungsminister Jung. Bild: dpa

BERLIN taz | Für einen Augenblick weichte die sonst so abweisende Miene des Ministeriumssprechers auf. Ein Journalist hatte gefragt, ob die Ereignisse in Kundus und die nachfolgende Aufklärungsarbeit dem Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) vielleicht Anlass zur Selbstkritik geben. Das Verteidigungsministerium, sagte Thomas Raabe und blickte verständnisheischend, lege bei der Unterrichtung des Parlaments stets die "höchste Vorsicht" an den Tag, "weil wir nicht lügen wollen".

Nur gesicherte Informationen würden herausgegeben. Deshalb seien die ersten Informationen an die Parlamentarier über den Luftangriff auf zwei Tanklastzüge im nordafghanischen Kundus in der Nacht zum Freitag zunächst recht knapp ausgefallen.

Auch Raabes Dienstherr übte am Montag erstmalig kommunikative Öffnung. "Wenn es zivile Opfer oder auch zivile Verletzte gegeben hat, dann gilt denen unser Mitgefühl, und wir werden uns auch diesbezüglich mit den Betroffenen dann in Verbindung setzen", sagte Franz Josef Jung im Fernsehen.

Das ganze Wochenende hatten Jung und sein Ministerium daran festgehalten, dass die Bombardierung der beiden gekidnappten Tanklaster ein militärischer Erfolg gewesen sei. 56 Taliban seien ums Leben gekommen. Strikt hatte Jung leugnen lassen, dass es tote oder verletzte Zivilisten geben könne – obwohl afghanische und Nato-Quellen schon seit Freitagmorgen von bis zu 130 Toten sprachen und Medien Bilder verletzter Kinder im Krankenhaus Kundus zeigten.

Samstag war sogar der Chef des Isaf-Einsatzes, US-General Stanley McChrystal, an den Ort des Geschehens gekommen und sprach von zivilen Opfern - wobei offen blieb, ob er Tote oder Verletzte meinte.

Montagfrüh sagte Minister Jung nun, er denke, es "sollten jetzt keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden". Er habe der Nato nochmals ausdrücklich jede Unterstützung bei der Aufklärung zugesichert.

Sein Sprecher, Raabe, lieferte manches Detail darüber nach, was aus Sicht der Bundeswehr passierte, nachdem der Kommandeur des Bundeswehrlagers (PRT) in Kundus, Georg Klein, um 21.12 Uhr Ortszeit am Donnerstag Nachricht erhalten hatte, dass die Taliban zwei Tanklastzüge gekapert hatten. Diese blieben bald darauf auf einer Sandbank des Flusses Kundus sechs Kilometer vom deutschen PRT stecken.

Noch am Freitag hatte das Ministerium behauptet, zwischen Kaperung und Feuerbefehl durch Georg Klein seien nur 40 Minuten vergangen. Das war falsch. In Wirklichkeit habe Klein stundenlang über Video, geliefert von zwei US-amerikanischen F15-Bombern, das Geschehen live verfolgt, sagte Raabe nun.

Die Bilder aus dem Bombern gaben laut McChrystal Aufschluss über 120 Menschen um die beiden Lkw. Eine menschliche, als zuverlässig eingeschätzte Quelle sowie eine dritte Quelle, über die Raabe nicht sprechen konnte, hätten erklärt, es handle sich ausschließlich um regierungsfeindliche Kämpfer, darunter vier Taliban-Führer. Um 1.39 habe Klein den Luftangriff befohlen, dieser sei um 1.49 Uhr erfolgt.

Der Kommandeur sei "ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Beteiligung von Zivilpersonen ausgeschlossen ist", sagte Raabe. Es habe auch Hinweise gegeben, dass ein Anschlag auf das deutsche PRT oder afghanische Liegenschaften mit zur Bombe umfunktionierten Lkws geplant sei, ähnlich wie Ende August in Kandahar. "Man muss sich psychologische Lage vor Ort vergegenwärtigen", sagte Raabe.

Er wehrte sich gegen den Vorwurf des obersten US- und Nato-Sprechers in Afghanistan, Gregory Smith, die Deutschen seien am Morgen viel zu spät an den Ort des Geschehens gekommen, um den Schaden zu begutachten. Ein ausgesandter Trupp sei sofort beschossen worden. Darum habe man auch McChrystal davon abgeraten, dorthin zu gehen - vergeblich. Schon zehn Minuten nach dem Abgang des Isaf-Kommandeurs seien jedoch Mörsergranaten eingeschlagen.

Die Zahl von 56 Toten sei unmittelbar nach dem Angriff von einer der eingesetzten US-Quellen durchgegeben worden. So hat sie wahrscheinlich ihren Weg in den ersten Bericht des Provinzgouverneurs Mohammed Omar an den Präsidenten Hamid Karsai gefunden. Omar berief sich aber gemeinsam mit seinen Armee-, Geheimdienst- und Polizeichefs auch auf Gespräche "mit Dorfbewohnern und Augenzeugen".

Raabe erklärte, Bodentruppen seien nicht eingesetzt worden, weil man befürchtet habe, dass sie dann mit den Tanklastern in die Luft gejagt würden. Man habe außerdem gewusst, dass Menschen aus den umliegenden Dörfern sich genähert hatten. Doch diese hätten zum Sympathisantenkreis der Taliban gehört, denn "Nichtsympathisanten wurden zurückgeschickt".

Das hieße allerdings, dass die Bundeswehr sich der Anwesenheit von – Taliban-freundlichen – Zivilisten doch bewusst war.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will heute im Bundestag eine Regierungserklärung zu Afghanistan abgeben. Jung hat zugesagt, die Obleute im Verteidigungsausschuss des Bundestags heute ausführlich zu unterrichten.

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