Lucio Urtubias "Baustelle Revolution": Wie man Waffen druckt
Unglaublich, aber wahr: Lucio Urtubia erzählt in "Baustelle Revolution", wie Anarchisten Ende der 50er Jahre einmal erfolgreich David gegen Goliath spielten.
Die amerikanische Federal Reserve Bank gab im November 2010 bekannt, dass sie mehr als 600.000.000.000 "neue Dollarnoten" drucken wird. China und Russland drohten daraufhin, den Anteil an US-Staatsanleihen in ihren Devisenreserven zu reduzieren. Einige Kommentatoren meinten, die USA versuchen sich damit am eigenen Schopf aus dem Sumpf - der Überschuldung - zu ziehen. Andere sehen in diesem Staatsakt der Amerikaner den letzten Versuch, den Dollar als Leitwährung zu halten.
Es gab schon einmal einen groß angelegten Versuch, "neue Dollar" zu drucken: von unten und gegen die Wirtschaft der USA gerichtet. Der Plan wurde von einer im französischen Untergrund gegen Franco kämpfenden Gruppe spanischer Anarchisten ausgeheckt. Zu ihnen zählte der Fliesenleger Lucio Urtubia, dessen Biografie "Baustelle Revolution" kürzlich auf Deutsch erschien.
Im Jahr 1959, "kurz nach der Kubanischen Revolution", lernte er in Paris die erste Botschafterin des neuen Kuba, Rosa Siméon, kennen. Sie vermittelte ihm am Flughafen Orly ein Gespräch mit dem neuen kubanischen Zentralbankchef Che Guevara, dem er einige von seiner Gruppe gedruckte Geldnoten zeigte und ihren Plan erläuterte: Sie wollte den Weltmarkt mit Tonnen von Dollar überschwemmen und so die US-Währung destabilisieren.
Der kubanische Staat sollte helfen, sie zu drucken und in Umlauf zu bringen. Che besprach die Idee mit seinen Genossen und ließ Urtubia dann wissen: "Damit könnten wir der USA keinen Schaden zufügen, denn der Dollar sei die Leitwährung. Für mich war das eine große Enttäuschung."
Urtubia und seine Genossen, die als Flüchtlinge "ohne Papiere" nach Frankreich gekommen waren, verfügten inzwischen über große Erfahrungen im Fälschen von Ausweispapieren und anderen Dokumenten, mit denen sie andere Militante und Illegale unterstützten. Nach Che Guevaras Absage wurde beschlossen, den Plan ohne die Kubaner durchzuführen, statt Dollars jedoch Travellerschecks zu drucken. Die Gruppe stellte diese Zahlungsmittel dann zentnerweise her - und unterstützte damit die Guerillagruppen weltweit. "Die Arbeit war anstrengend, aber wenn du sie für ein Ideal machst, findest du daran Gefallen."
Geschäftsaufgabe
Weil Uturbia und seine Genossen tagsüber weiterhin als Fabrikarbeiter tätig waren, kam ihnen die Polizei nie auf die Schliche, obwohl sie sie überwachten. Als er nach Jahren durch Verrat doch verhaftet werden konnte (in Sartres Stammcafé "Les Deux Magots"), erwirkte die geschädigte Bank - die heutige Citibank, dass er gegen Herausgabe der Druckstöcke wieder freikam.
"Sein Prozess endete mit einer symbolischen Verurteilung", schrieb der damalige Chef der französischen Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung in seinen Memoiren. Er ist davon überzeugt, das Urtubia und seine Anarchistenbande vom Staatspräsidenten Mitterand persönlich geschützt wurden. Das war nicht der Fall, aber die wegen der vielen gefälschten Travellerschecks immer mehr in Schwierigkeiten geratene Citibank war damals das weltweit größte Finanzunternehmen, mit allein 50.000 Filialen, sie zahlte Urtubia sogar noch eine Entschädigung für seine "Geschäftsaufgabe".
Für die Anarchisten war die Scheckherstellung und -verteilung unter anderem an die Black Panther, die IRA, die ETA und die Tupamaros wie ein "Versuch" gewesen, "die Geschichte von David gegen Goliath zu wiederholen. Aber so waren wir."
Es steckte also kein "Staatsgeheimnis" hinter dem "Projekt", und nur ein halbes hinter seiner Beendigung, die Urtubia als "eine ehrenhafte Vereinbarung zwischen zwei Parteien" bezeichnet - der großen Citibank und der kleinen "Organisation idealistischer Handwerker und Arbeiter", die ein "richtiges Netz zur Geldbeschaffung" aufbauten: "Wir waren in ganz Europa und Südamerika aktiv, immer zu zweit."
Die Citibank, eines der übelsten Finanzinstitute weltweit, erholte sich leider viel zu schnell von dem "Schaden", aber auch Lucio Urtubia ging es danach nicht schlecht: Der heute 79-Jährige wurde öffentlich geehrt und sogar in den Élysée-Palast eingeladen, er gründete zwei legale Kleinbetriebe, eröffnete ein Kulturzentrum und besitzt ein Haus in seiner alten Heimat Navarra.
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