Lucia Puenzo über ihren Film "El niño pez": "Wie der Gesang von Vögeln"

Die Argentinierin hat nach "XXY" nun ihr Romandebüt verfilmt: In "El niño pez" fliehen zwei junge Frauen in ihre eigene Welt. Lucia Puenzo über die Sprache Guarani und das Los von Hausangestellten.

"Mich interessiert besonders, die lesbische Beziehung vom Zentrum an den Rand zu verlagern." Bild: berlinale

"El niño pez" ist der zweite Film der Argentinierin Lucía Puenzo. Nach ihrem Debüt mit "XXL" hat sie erneut mit Ines Efron gedreht. Efron spielt Lala, eine Jugendliche aus der Oberschicht von Buenos Aires. Sie verliebt sich in Guayí, die paraguyanische Hausangestellte, die auch ein Verhältnis mit Lalas Vater hat. Der muss sterben, die zwei Mädchen sind auf der Flucht. Paraguay und die Sprache Guaraní bilden Fluchtpunkt und poetische Metapher dieses Road Movies.

taz: Schon in Ihrer Romanveröffentlichung "El niño pez" (2004) fielen das filmische Moment und die temporeiche Handlung auf. Haben Sie beim Schreiben des Buchs Filmbilder vor Augen gehabt - immerhin kommen Sie aus einer Familie von Filmemachern?

Lucía Puenzo: Ich schrieb den Roman mit 23 Jahren. Ich war Drehbuchautorin, keine Regisseurin und konnte es mir damals nicht vorstellen, mal eine zu sein. Natürlich hatte ich beim Schreiben Bilder im Kopf gehabt und konnte mir vorstellen, dass daraus mal ein Film wird. Aber ich schrieb den Roman nicht streng nach filmischen Kriterien.

Von heute aus betrachtet: Sind Ihre Romane eher Nebenprodukte? Wie sehen Sie das Verhältnis von Literatur und Film?

Mit 19 habe ich angefangen, Literatur zu studieren, und mit 20 fing ich selber an zu schreiben. Ich lebte davon, Drehbücher für andere zu schreiben. Mehr Spaß hat es mir aber gemacht, für mich selbst zu schreiben. "XXY", mein erster Spielfilm, war fast so etwas wie ein Unfall: Ich stieß auf diese wunderbare Kurzgeschichte von Sergio Bizzio und machte daraus einen Film. Im Umgang mit Literatur bin ich aber viel sicherer als mit Film.

"El niño pez" erzählt die folgenreiche Liebesbeziehung zwischen Lala, der Tochter eines zynischen Intellektuellen in Buenos Aires, und Guayí, der paraguayischen Hausangestellten. Den Roman schrieben Sie aus der Perspektive des Hundes Serafín, im Film fiel diese nun weg. Warum?

Ein Hund, der spricht - im Film hätte dies eine komische Note bekommen. Die Perspektive des Films musste sich radikal von der Romanvorlage abwenden. Anstelle des erzählenden Hundes trat die Subjektivität der Hauptdarstellerin Lala, die verstört und emotional distanziert auftritt. Der Film wirkt düsterer, angespannter. Es überrascht, wie man dieselbe Geschichte so unterschiedlich erzählen kann.

In Ihrem Spielfilmdebüt "XXY" beschäftigten Sie sich mit Intersexualität, nun ist eine lesbische Beziehung das Thema. Was interessiert Sie an diesen Stoffen so?

Ich habe mit der Arbeit an "El niño pez" unmittelbar im Anschluss an "XXY" begonnen. Mir fehlt die Distanz, um die beiden Filme jetzt thematisch zu vergleichen. An der Geschichte der beiden Mädchen in "El niño pez" interessierte mich besonders, ausgehend von einem Mord innerhalb einer Familie der Oberschicht, die lesbische Beziehung vom Zentrum an den Rand zu verlagern.

Der Film "La Cienaga" (2000) von Lucrecia Martel oder Romane wie Sergio Bizzios "La Rabia" skizzieren anhand des häuslichen Alltags die Dekadenz einer bürgerlichen Klasse und parallel existierende soziale Realitäten. Inwiefern ist das von Ihnen beschriebene Modell - paraquayische Hausangestellte beim weißen Mittelstand - auch heute aktuell?

In ganz Lateinamerika ist es nach wie vor üblich, dass Hausangestellte den ganzen Tag im Haus ihrer Arbeitgeber verbringen. Viele von ihnen sind sehr jung. Es sind solch familiäre Situationen, wie sie auch Martel oder Bizzio schildern: Hausangestellte und Kinder der Hausherren leben in großer Intimität und werden gemeinsam erwachsen. Lala steht in "El niño pez" ihrer Herkunft und Familie fremd gegenüber. Die einzige Welt, die sie interessiert, ist die von Guayí.

In ihren Tagträumen flüchten sich die beiden jungen Frauen aus ihrem vorgezeichneten Leben in Buenos Aires nach Paraguay an den See Ypacarai, den Heimatort Guayís. Wofür steht das Nachbarland Paraguay in der argentinischen Realität?

Die Migration aus Bolivien und Paraguay hat eine starke Präsenz in Argentinien. Die Migranten arbeiten auf den Baustellen oder als Hausangestellte. Guaraní, neben Spanisch die zweite Amtssprache Paraguays, ist auf den Straßen von Buenos Aires oft zu hören. Mir gefällt diese Sprache, sie ist ganz anders, hat überhaupt nichts mit der Grammatik des Spanischen zu tun. In meinem Roman hieß es an einer Stelle: "Guaraní ist wie der Gesang von Vögeln."

Auf die Aufforderung des Hausherren, zu singen, sagt Guayí: "Ich kann nur in Guaraní singen." Warum?

Es ist die Sprache ihrer Kindheit. Guayí hat eine starke Persönlichkeit. Sie lenkt die Geschicke der Familie. Und sie bestimmt, in welcher Sprache sie singt.

Ines Efron, Ihre Hauptdarstellerin aus "XXY", spielt die Rolle der Lala - stand dies von Anfang an fest?

Nein, eigentlich suchte ich nach einem anderen Typ. Aber beim Vorsprechen war ich dann überzeugt, dass Ines auch die richtige für die Rolle der Lala ist.

Wie kam es, dass die paraguayische Hausangestellte von der Sängerin Emme (Mariela Vitale) - eine Art argentinischer Shakira - gespielt wird?

Wir haben nach einer paraguayischen Darstellerin gesucht. Von Emme war ich erst nicht begeistert, auch weil sie Rockstar ist. Aber es gelang ihr schnell, Guayí eine eigene Persönlichkeit zu geben, die nichts mit ihrer Figur als Popstar zu tun hat.

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