: Lt. Ripley und die InterpretantInnen
„Alien3“ — Das lahme Ende der Monster-Saga und seine symbolische Überfrachtung ■ Von Karl Wegmann
Es war 1973 in Rom, als Steven Spielberg eine umheimliche Begegung mit der schreibenden Art hatte. Der junge Regisseur gab eine Pressekonferenz anläßlich des Europastarts seines Films „Duell“, die Geschichte vom kleinen Vertreter, der mit seinem Auto in den Aggressionsradius eines riesigen Tanklasters gerät. Vor allem die linken Cineasten waren von dem ungewöhnlichen Duell angetan — jedoch nicht vom Regisseur. In Rom verließen vier Kritiker stocksauer vorzeitig die Pressekonferenz, als Spielberg sich weigerte zu bestätigen, daß der Film den Kampf zwischen der Oberschicht und der Arbeiterklasse im heutigen Amerika symbolisiert.
Viele Kritiker deuteln gerne an Filmen herum, sie halten das für ihren Job. Was sie so alles in die Streifen hineininterpretieren, ist manchmal wirklich erstaunlich — oft aber einfach nur lächerlich. Eine besondere Fundgrube für die InterpretantInnen ist das berühmteste Weltraummonster des amerikanischen Lichtspiels, das „Alien“. Schuld daran ist Regisseur Ridley Scott, der 1979 aus einer eher dünnen und altbackenen Grusel-Geschichte einen der besten Science-fiction-Horrorfilme überhaupt bastelte. Das Drehbuch zu „Alien“ sah als heldenhaften Monstertöter wie üblich einen Mann vor, Scott schrieb das Ding einfach um und installierte eine Heroin: Lt. Ellen Ripley.
Die frauenbewegten Kritikerinnen fanden die Mär zwar ekelig, ihre kämpfende Schwester aber echt klasse. Homosexuelle Schreiber gaben sich pikiert angesichts der Tatsache, daß das Alien einem Mann seinen Rüssel in den Mund steckt und ihn dadurch befruchtet. Heraus, durch die platzende Bauchdecke, kommt ein neues Monster. Eindeutig schwulenfeindlich! Die meisten übrigen Kritiker waren sich einig, daß der Film von Schwangerschaftsängsten und deren Überwindung handelt.
Sieben Jahre später eskalierte die ganze Sache. James Cameron hatte nach seinem eigenen Drehbuch mit „Aliens — Die Rückkehr“ eine Fortsetzung des Sabberviech-gegen- Ramboline-Abenteuers inszeniert. Jetzt waren die Feministinnen stinkig. Da mußte doch Ellen Ripley (wieder dargestellt von Sigourney Weaver) erst Mutter werden, um so stark zu werden, daß selbst Arnie Schwarzenegger mit einem Schmiedehammer sie nicht aufhalten könnte, und sie mit der Massenschlachtung der Aliens und deren Mutter beginnen kann. Unzählige Artikel wurden verfaßt, die sich alle mit dieser Menschenmutter-gegen- Monstermutter-Geschichte auseinandersetzten. Es wurde interpretiert, daß die Schwarte krachte.
Der Interpretant des Spiegel glaubt den Durchblick zu haben, alles „ein Stück amerikanischer Zeitgeschichte“, meint er: Teil eins spielt für ihn in einer „funktionstüchtigen High-Tech-Sphäre“ — leider übersieht er dabei, daß die High-Tech- Maschinerie eben nicht funktioniert und es dadurch zur Katastrophe kommt. Teil zwei spiegelt die Reagan-Ära, glaubt er, und den Neuen, „Alien3“, hat er kurzerhand zur „apokalyptischen Parabel auf das Amerika am Ende des zweiten Jahrtausends“ erklärt. Vielzuviel Ehre für den schlecht inszenierten und langweiligen Schluß der Trilogie.
Eigentlich sollte „Alien3“ schon zu Ostern 1990 in die US-Kinos kommen, und was man zunächst so mitkriegte, hörte sich ganz prima an: Der finnische Action-Spezialist Renny Harlin war als Regisseur und der Cyberpunk-Kultautor William Gibson als Drehbuchautor verpflichtet worden. Beide sprangen entnervt wieder ab. Panik bei den produzierenden Fox-Studios. Ein Dutzend verschiedener Drehbücher wurde in Auftrag gegeben, und der esoterisch vorbelastete Neuseeländer Vincent Ward („Der Navigator“) bekam den Platz hinter der Kamera. Ward heckte sofort ein New-Age-Alien- Märchen aus und wurde gefeuert. Der 29jährige David Fincher betrat die Szenerie. Sein erster kreativer Vorschlag war, Sigourney Weaver einen Sinead-O'Connor-Haarschnitt zu verpassen. Das fanden die Fox- Manager ganz ausgezeichnet. Fincher hatte bis dahin nur ein paar Madonna-Videoclips und einen Anti- Raucher-Werbespot inszeniert, was an sich ja nicht verwerflich ist, und war jetzt Herr über 50 Millionen Dollar Produktionskosten.
Eine richtige Story gab es immer noch nicht, also griff man auf das alt bewährte Pfarrer-im-Puff-Prinzip zurück: Wenn man einen Pfaffen in ein Bordell setzt, hat man eine Geschichte, wenn man Ripley auf einen einsamen Gefängnisplaneten bringt, wo nur Vergewaltiger und Mörder leben, hat man ebenfalls eine — nur erzählen muß man sie können. Fincher hielt nichts vom Erzählen, er wollte Kunst machen, ließ Frau Weaver den Schädel rasieren, die Kulissen grau und schwarz anmalen, alle Kostüme erhielten einen kotartigen Braunton, und Fincher ließ so viele lahme lange Dialoge schreiben, daß sie für mindestens drei Ingmar-Bergman-Filme ausgereicht hätten. Unscharfe subjektive Kamerafahrten sollen Tempo und Dramatik suggerieren, bringen aber nur Ärger und Langeweile. Bei „Alien3“ bewegt sich nichts, Fincher hat die Stagnation als Kunstform entdeckt, und wenn das Biest einmal durchs starre Geschehen huscht, mordet oder Ripley schwängert, ist es (Kunst darf alles!) so schlecht ausgeleuchtet, daß man dreimal hingucken muß und immer noch nichts erkennt. Der Schluß ist geklaut: Ripleys kitschige Selbstmeuchelei hat Fincher frech und astrein von „Terminator2“ abgekupfert.
Und was sagen die Interpretanten? Nun, einige Teile der US-Presse haben in „Alien3“ bereits eine Metapher für Aids entdeckt: Dieser ganze glatzköpfige Männerverein (Schwule zweifellos), der Fremdkörper im unschuldigen Frauenleib, etc. Mal abwarten, was die europäischen Kritiker so alles in den Film hineindeuten.
David Fincher: „Alien3“. Mit Sigourney Weaver, Charles S. Dutton, Charles Dance u.a.; USA 1992; 115 Min.
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