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Lotze setzt auf Aussteigerprogramm

■ Der in der DDR Inhaftierte RAF-Aussteiger kehrt „freiwillig“ in die BRD zurück / Ausstiegsappell an heute aktive RAF-Kämpfer / Die DDR will eine Gesetzesänderung zur Auslieferung beschließen

Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Nach Susanne Albrecht und Silke Maier-Witt wird sich nun auch der in der DDR inhaftierte RAF-Aussteiger Werner Lotze „freiwillig“ den bundesdeutschen Behörden stellen. Lotze bezeichnete es gestern in einer kurzen Erklärung als einen „bewußten Schritt, daß meine Frau und ich im Jahre 1979 Aussteiger wurden und der RAF den Rücken gekehrt haben“. Deshalb sei es jetzt nur konsequent, sich den Strafverfolgungsbehörden in der BRD zu stellen. Er hoffe, daß „auch andere den Mut finden, ihren Weg in der RAF zu beenden und ihre sinnlosen Aktionen endgültig einzustellen“.

Lotze, den die Bundesanwaltschaft noch bis vor kurzem des Mordes an MTU-Chef Ernst Zimmermann im Jahr 1985 verdächtigte, will nicht als Kronzeuge gegen frühere Gesinnungsgenossen aussagen. „Ich gehe davon aus“, heißt es in der Erklärung, „daß das in der BRD für Aussteiger geltende Recht und die dort für Aussteiger entwickelten Programme angewandt werden.“ Das sogenannte Aussteigerprogramm war 1986/87 vom Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz gegen erhebliche Widerstände aus der Bundesanwaltschaft angeschoben worden. Unter ausdrücklichem Verzicht auf „denunziatorische Lebensbeichten“ sollte RAF -Aussteigern die Möglichkeit eröffnet werden, aus ihrem Versteck heraus die gegen sie erhobenen Vorwürfe und das zu erwartende Strafmaß zu sondieren. Nach Informationen der taz ist damit zu rechnen, daß noch andere in der DDR inhaftierte ehemalige RAF-Mitglieder Lotzes Schritt nachvollziehen werden. Entsprechende Absprachen zwischen den Gefangenen sind in den vergangenen Wochen über ihre DDR-Anwälte in Gang gesetzt worden.

Unterdessen hat die festgenommene Inge Viett in einem Brief an ihre ehemaligen ArbeitskollegInnen um Verständnis für ihren „Weg in den bewaffneten Kampf für eine menschlichere Gesellschaft“ geworben. „Nach Jahren im Untergrund“ sei sie jedoch zu dem Schluß gekommen, „daß der Kampf mit diesen Mitteln aussichtslos und sinnlos“ sei.

Das Ostberliner Kabinett beriet gestern über eine Gesetzesinitiative, die die Auslieferung von Straftätern in die BRD ermöglichen soll. Dazu bedarf es einer Änderung der Verfassung, die bisher eine Auslieferung von DDR-Bürgern an eine „auswärtige Macht“ untersagt. Insbesondere DDR -Innenminister Diestel drängt auf eine solche Verfassungsänderung, weil so langwierige juristische Auseinandersetzungen nach einer „unfreiwilligen“ Auslieferung der RAF-Aussteiger an die BRD voraussichtlich vermieden werden können. Die Verfassungsänderung würde allerdings erheblich an Brisanz verlieren, wenn sich alle RAF-Aussteiger freiwillig aus den DDR-Knästen in die BRD verlegen ließen.

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