Lothar Bisky zieht sich zurück: "Ich bin kein Lehrer der Linkspartei"
Lothar Bisky tritt als Chef der Linken-Fraktion im EU-Parlament zurück. Er will einen Generationswechsel – und warnt seine Partei vor antieuropäischem Populismus.
taz: Herr Bisky, warum wollen Sie nicht mehr Chef der Links-Fraktion im EU-Parlament sein?
Lothar Bisky: Meine Gesundheit wird nicht besser. Ich bin 70, da ist man auch als Abgeordneter ausgelastet. Außerdem war ich so oft Vorsitzender, da ist es schön, mal entspannt in der dritten Reihe zu sitzen.
Haben Sie im Europaparlament etwas gelernt?
Ja, es gibt hier viel mehr Kooperation über die Partei- und Ländergrenzen hinweg. Es reicht nicht, auf den eigenen Bauchnabel zu schauen. Das ist gut.
Es ist umstritten, wie die Linkspartei zur EU steht: konstruktiv mitarbeiten für eine Art Euro-Keynesianismus – oder national, auch mal populistisch, gegen die EU …
war bis zum 6. März 2012 Chef der GUE/NGL, der Linksfraktion im EU-Parlament. Bis 2014 wird er dort Abgeordneter sein, danach nicht mehr kandidieren. Er war elf Jahre Chef von PDS und Linkspartei. 1959 ging Bisky als 18-Jähriger in die DDR, weil er im Westen aufgrund der Armut seiner Familie kein Abitur machen konnte.
Ich stehe für konstruktive, kritische Mitarbeit. Es gibt viele EU-Entscheidungen, die mir missfallen – aber eine Renationalisierung wäre schlimm. Als Internationalist muss man das bekämpfen.
In der Linkspartei wollen manche lieber den Volkszorn auf die EU aufnehmen – ehe Rechtspopulisten das tun. Gehen Sie da mit?
Nein. Ich habe mit dem nationalen Sozialismus nichts am Hut, gar nichts. Links ist international – oder es ist nicht links.
Sie ziehen sich zurück – die Linkspartei aber wird 2013 mit Gysi und dem dann 70-jährigen Lafontaine antreten. Warum fällt der Linkspartei der Generationswechsel so schwer? Weil die Jüngeren es nicht können?
Nein, das liegt bestimmt nicht an den Jüngeren. Sie brauchen die Chance, in Positionen zu lernen. Das funktioniert nur so – learning by doing. Wenn sie nur Zuschauer sein dürfen, kann man keine Führungsqualitäten von ihnen erwarten. Die Partei muss sich für Jüngere öffnen, weil jede Generationen eine spezifische Weltsicht hat. Es ist falsch, wenn die Älteren alles dominieren.
Sie wollten als Parteichef, dass die Linkspartei sich mehr um neue Milieus, etwa die prekären Kreativen, kümmert. Warum hat das nicht geklappt?
Das ist ein ungelöstes Problem. Wir verstehen die Industriearbeiter, unser klassisches Klientel, aber das reicht nicht. Wir haben zu wenig Angebote für die Informationsarbeiter des 21. Jahrhunderts, für ihre Sehnsüchte, Probleme, Träume.
Dafür gibt es die Piraten …
Ja, schön, dass es sie gibt. Aber dieses Milieu zu vertreten, ist eigentlich unsere Aufgabe. Auch dafür brauchen wir einen Generationswechsel.
Die Linkspartei in Deutschland geht es nicht gut. In Berlin regiert sie nicht mehr, im Westen drohen Wahlniederlagen. Was macht die Partei falsch?
Ich bin nicht der Lehrer der Linkspartei. Ich bin auch nicht der, der alles besser weiß. Davon haben wir genug.
Ist das ein Grund für den Abschwung?
Ja, die Besserwisserei ist ein echtes Hemmnis. Wir brauchen mehr feinfühlige Analyse, nicht immer den Hammer und Rechthaberei. Die Linkspartei hat nicht mehr diese Außenseiterrolle …
… wie die PDS in den 90ern …
Die Linke ist schon lange dabei und Teil der politischen Normalität geworden. Ich beklage das keineswegs. Das ist gut so. Wir sollten nicht besser oder schlechter als andere behandelt werden.
Herr Bisky, was war Ihr größter Erfolg als Politiker?
Dass ich am 4. 11. 1989 auf dem Alexanderplatz reden durfte.
Warum?
Ich habe dort als Rektor der Filmhochschule gesprochen und Forderungen der Studenten vertreten, die mir ein Herzensanliegen waren. Es passiert ja selten, dass einem dabei eine Million Menschen zuhören. Das war wichtiger als ein genialer Schachzug in einer Parlamentsabstimmung.
Der 4. 11. 1989 war der Beginn Ihrer politischen Karriere.
Tja, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich wohl gar nicht hingegangen.
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