: Lost in music
Geben und nehmen: Das New Yorker Musikerkollektiv Bang on a Can stellt in der Parochialkirche mit DJ Spooky, dem RIAS-Kammerchor und dem Concerto Köln sein jüngstes Projekt „Lost Objects“ vor
von BJÖRN GOTTSTEIN
Der Minimalismus ist längst zur Folie verkommen. Darauf abbilden lassen sich: Melancholie zum einen, gefällig bewegte und feierliche Lebensfreude zum anderen. In den Achtzigerjahren entwickelte Genrepionier Philip Glass diese Stereotypen noch selbst. Heute werden sie vom New Yorker MusikerInnenkollektiv Bang on a Can, das vor allem von den KomponistInnen Michael Gordon, David Lang und Julia Wolfe getragen wird, fortgeschrieben.
Aber nun kann man auch nicht jahrelang einfach latent verkitschte Klangfiguren spätminimalistischer Prägung aneinander reihen. Um eine Institution wie Bang on a Can dauerhaft zu etablieren, bedurfte es künstlerisch und kommerziell tragfähiger Konzepte. An originellen Ideen – das kann man neidlos anerkennen – mangelte es dem New Yorker Kollektiv nie. 1998 etwa verblüffte man mit einem instrumentalen Remake von Brian Enos Ambientklassiker „Music for Airports“ und brachte damit die Interpretationsgeschichte vermeintlich endgültig auf Tonträger fixierter Musik ins Rollen.
Mit ihrem jüngsten Projekt „Lost Objects“ versuchen Gordon, Lang und Wolfe einmal mehr Pop mit klassischem Kunstanspruch, ernste Musik mit Popappeal auszustatten. „Verlieren und Finden“ lautet das Sujet des großspurig als „Oratorium“ angelegten Stückes. Verloren gehen: Socken, Bedeutung, Menschen. Gefunden werden: Ochsen, Gewänder, Eisäxte. Die Texte des Librettos sind handverlesen – mit symbolträchtigen Passagen aus dem Alten Testament und dem Talmud. Das Unternehmen ist denkbar glamourös angelegt. Nicht nur hat man mit Concerto Köln und dem RIAS-Kammerchor zwei der derzeit profiliertesten Ensembles für alte Musik gewinnen können. Zwei renommierte Countertenöre und der in diesem Zusammenhang wohl unvermeidliche, selten enttäuschende Drum & Bass-DJ Spooky spreizen das Klangpotenzial zunächst ins Kosmische.
Die Musik zu „Lost Objects“ liegt seit einigen Wochen auf CD vor (Teldec/Warner). Natürlich klingt das nett, wenn Concerto Köln mit seinem angerauten Orchesterklang aufspielt, wenn Countertenor Andrew Watts seinen kehlig-glatte Altstimme vor einer schmusig agierenden E-Gitarre erhebt. Aber es wird eben alles regelmäßig von brachialen, nuancenarmen Motivketten niedergewalzt und in schroffem, durchsichtigem Pathos erstickt. Das Libretto verfängt sich überdies immer wieder in Banalität und billiger Alltagsbetroffenheit – unerträglich in der per E-Mail weitergeleiteten Vermisstenanzeige besorgter Eltern: „Fw: Fw: Please Look“.
Am Schluss gelingt es nur DJ Spooky, dem mürben Koloss Hörenswertes entgegenzusetzen. In seinen kurzen, zarten Zwischenspielen wird deutlich, was man dem Material hätte abgewinnen können, hätte man auf Plakativität zugunsten von Nuancen und Differenzen verzichtet.
Vorgestern wurde „Lost Objects“ in Dresden uraufgeführt; heute Abend ist das Spektakel in Berlin zu Gast. Ein Ereignis wird das Konzert allemal: Die illustre Besetzungsliste und die optisch-szenische Begleitung mit Tänzern, Dia- und Videoprojektionen im morbiden Raum der Parochialkirche leisten jedem Belanglosigkeitsverdacht Vorschub. Für Kurzweil ist also gesorgt. Um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, sollte die inszenierte Fassung allerdings wesentlich über den oberflächlichen Tonträger hinausweisen.
Heute um 20 Uhr und 22 Uhr 15, Parochialkirche, Klosterstraße 67, Mitte
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