■ Lesung: Lost in Popkultur
Als die Bomben auf Jugoslawien fielen, platzte Felix Reidenbach der Kragen. Der „Die Niedlichen“-Zeichner, dessen Comicfiguren die letzte Seite des Popkultur-Magazins Spex- zieren, nutzte jenen Platz zur Abrechnung mit mit einer Kulturkritik, die sich noch immer für links halte, in Wahrheit aber längst entpolitisiert sei. Gemeint war „das lasche Blatt“, in dem Reidenbach seine Kritik äußerte: Spex sei „weitenteils ein trauriges Organ (...) kulturoptimistischer Verdummtheit“, weil auch dort die „linke Lebenslüge“ aufrechterhalten werde, „der Geschmack von KulturexpertInnen würde moralischen Begründungen folgen“: Man darf wohl sagen: Da hat sich einer mal Luft gemacht.
Mit „sich mal Luft machen“ beschreibt die ehemalige Spex-Redakteurin Kerstin Grether die Haltung, aus der heraus sie gemeinsam mit Reidenbach und dem Singer/Songwriter Knarf Rellöm eine Veranstaltung unter dem Titel „Lost in Popkultur“ konzipiert hat. Der werde „eher desillusionierend“ wirken, kündigt Grether an. Aber es werden ja schließlich Texte „über die Nebenwirkungen täglichen Popkonsums“ versprochen. Zum praktischen Popkonsum wird aber mit Hörbeispielen von Platte und einem Konzert der Kölner Noiserockband Venus Vegas eingeladen.
Felix Reidenbach förderte in seinen Ausführungen zur Kulturkritik „explizite Nachteilsbeschreibungen“. Und Kerstin Grether wandte in den letzten Jahre ihren publizistischen Blick etwas ab von denjenigen, die Pop-Werke schaffen und hin zu denen, die in der Popkultur eher nur dabei statt mittendrin zu sein scheinen. Doch der Verdacht, dass hier zu einem „sociological turn“ im Popdiskurs aufgerufen werde, wird dadurch abgeschwächt, dass ausdrücklich literarische Texte vorgestellt werden: Knarf Rellöm erinnert sich an einen Silvesterabend vor dem Fernseher; Kerstin Grether lässt Mädchen in den Kampf mit Schönheitsidealen ziehen. Und Reidenbachs treffendste Beobachtungung in seinem Aufsatz war die des Bedeutungswandels von Joschka Fischers Turnschuhen – es geht um Popkultur im weitesten Sinn.
„Lost In Popkultur“ wird also nicht bloß Spex-Bashing bedeuten. Und das ist gut so, weil Spex wenigstens nicht „Lost in Neue Mitte“ sind, wie man sich in De:Bug gelegentlich fühlt. Felix Bayer
heute, Knust 21 Uhr
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