Lokführerstreik: Kunden bringt nichts aus der Bahn
Die Hälfte der Regionalbahnen fällt aus, die S-Bahnen fahren teilweise gar nicht, die BVG-Busse sind gestopft voll. Doch trotz des Lokführerstreiks bleiben viele Kunden gelassen und äußern Verständnis.
Es ist 12 Uhr. Auf den Bahnsteigen 3 und 4 am Bahnhof Friedrichstraße, wo sonst hunderte Menschen auf ihre Züge nach Rathenow, Nauen und Wittenberge warten, ist am Freitag kein Mensch. Außer einem. Alexandra Kiesel (28) sitzt erschöpft von einer Anatomieklausur auf einer Bank und hofft, "dass irgendwann mal eine Bahn nach Brandenburg fährt". Die Durchsagen sprechen dagegen: Dieser und der nächste Zug fallen wegen Streikmaßnahmen aus. "Ich", beharrt sie müde, "bleibe hier so lange sitzen, bis eine Bahn kommt."
Gelassenheit war das Leitmotiv der Dramaturgie dieses denkwürdigen Tages im Berliner Regionalverkehr. Um 2 Uhr morgens traten die Lokführer der Gewerkschaft GDL in den Streik. Auf den S-Bahn-Strecken zwischen Spandau und Westkreuz, Teltow und Südkreuz lief daraufhin gar nichts mehr. Im Regionalverkehr fielen rund 50 Prozent der Züge aus, deutschlandweit waren es nach Angaben der Gewerkschaft 85 Prozent. Doch ab etwa 8 Uhr bekam die Deutsche Bahn die Zugausfälle mit Schnellbussen in den Griff, die S-Bahnen fuhren, wenn auch unregelmäßig, rund alle 20 Minuten. Was fehlte, waren nicht Personal oder Züge. Es waren, sagt S-Bahn-Sprecher Gisbert Gahler, die Passagiere.
Die reagierten auf die Streikdrohung professioneller als jeder Krisenstab der Bahn: Sie gingen nicht hin. Cathleen Lehmann (22), findet es zwar "saublöd, dass die streiken", aber da es nun einmal so ist, nahm sie statt der S-Bahn eben das Auto. Der Traffic Service Berlin meldete für den Morgen ein wesentlich höheres Verkehrsaufkommen auf Berlins Straßen, das sich im Laufe des Vormittags jedoch wieder gelegt habe. Manche, vor allem in den Außenbezirken, winkten ein Taxi herbei. In der Innenstadt waren es wenige. "Zwischen acht und halb zehn", sagt Taxifahrer Wolfgang Weder (65) und zuppelt enttäuscht an seiner Lederjacke, "war n bisschen mehr los als sonst - aber nichts gegen frühere Streiks."
Stress hatten nur die Berliner Verkehrsbetriebe. Weil dermaßen viele Menschen auf dem Weg zur Arbeit die bestreikten Strecken mit Bus und U-Bahn umkurvten, kam die BVG in den Randgebieten hier und da ins Schlingern. Cheryl Mück aus Pankow, 40-jährige Verkäuferin, extra 40 Minuten früher aufgestanden, war ein Opfer von vielen: "Der Bus ist einfach an mir vorbeigefahren, weil er so voll war. Da schaust du natürlich erst mal blöd." Hätte sie am Morgen schon gewusst, dass die S-Bahnen alle 20 Minuten fahren, sie wäre nicht zu spät gekommen. Aber sauer auf die Streikenden? "Nee, das sollen die mal ruhig."
Am späteren Vormittag verbreiteten die Bahnhöfe Alexanderplatz, Friedrichstraße und Hauptbahnhof die Ödnis von Provinzhaltestellen. Hier und da ein Rentner, kleine Touristengrüppchen ("Wir hatten nur Angst, nicht mehr aus Brandenburg wegzukommen"), und hin und wieder schießt ein ICE zwischen den Bahnsteigen hindurch. Selbst bei den Auskunftstellen von Bahn und S-Bahn rotierten hinter den Schaltern höchstens die Daumen. Bis Mitternacht soll der Streik laut GDL noch dauern. Von Samstag bis Dienstag läuft der Betrieb wieder wie gewohnt.
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