Lokalwahl in Taiwan: Die Opposition triumphiert
In Taiwan fährt die chinafreundliche KMT einen Erdrutschsieg ein. Die Hauptstadt Taipeh wird künftig von einem Diktatoren-Urenkel regiert.
Noch am Abend erklärte Präsidentin Tsai Ing-wen in Reaktion auf die Niederlage ihrer Partei (DPP) ihren Rücktritt als Parteichefin; als Präsidentin bleibt sie im Amt. Tsai mahnte an: „Angesichts des internationalen politischen Klimas und der zukünftigen Herausforderungen kann Taiwan es sich nicht leisten, ins Wanken zu geraten.“ Anders als die KMT geht die DPP außenpolitisch auf Distanz zu China, Teile der Partei fordern die Errichtung eines unabhängigen taiwanischen Staats.
Tsais Rücktritt wirft Fragen auf in Hinblick auf die künftige Parteiführung und den Kurs der DPP vor der Präsidentschaftswahl im Januar 2024. Tsai kann nach zwei Amtszeiten als Staatschefin nicht erneut antreten. Die Kandidatur im Rennen um ihre Nachfolge ist sowohl bei der KMT als auch bei der DPP offen.
Die DPP hatte versucht, Taiwans Verhältnis zu China zum zentralen Thema des Wahlkampfs zu machen. Medial dominierten jedoch lokalpolitische Themen sowie diverse Korruptions- und Plagiatsvorwürfe.
Laut Lev Nachman, Wahlforscher und Juniorprofessor an der National Chengchi Universität in Taipeh, spielt China bei Lokalwahlen in Taiwan traditionell eine geringere Rolle. „Es wird der KMT aber weiter schwerfallen, mit ihrer Position zu China auf nationaler Ebene genug Unterstützung zu finden.“ Dennoch geht die KMT deutlich gestärkt aus den Wahlen vom Samstag hervor.
Diktatoren-Urenkel wird Bürgermeister
Die KMT schneidet bei Lokalwahlen traditionell stark ab. Grund hierfür sind auch „lokale Netzwerke, die teils noch auf die Zeit der Diktatur zurückgehen“, so Nachman. Vor der Demokratisierung ab Ende der 1980er-Jahre regierte die KMT Taiwan autoritär und unterdrückte insbesondere unter der Führung Chiang Kai-sheks politischen Widerstand.
Politisch brisant ist daher die Wahl seines Urenkels Chiang Wan-an zum Bürgermeister Taipehs. Im Wahlkampf hatte Chiang seine Abstammung nicht in den Mittelpunkt gestellt. Am Vorabend der Wahlen erklärte er auf einer Wahlkampfveranstaltung in Taipeh, für ihn zähle nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Bei den Wahlen um das Bürgermeisteramt in Taipeh stellte der 43-jährige Chiang sich und seine Partei gar als Kraft der Erneuerung dar.
In der Anhängerschaft der KMT zieht Chiang jedoch auch aus seiner familiären Herkunft hohes Ansehen. Gleichzeitig schaffte er es, jüngere Wähler*innengruppen anzusprechen. Chiang wird aller Voraussicht nach nicht bei der kommenden Präsidentschaftswahl antreten, könnte jedoch künftig in der KMT eine Schlüsselrolle einnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!