: Logo à Go-go
Zeig mir deine Marke: Vor 9.000 Menschen setzte sich Kylie Minogue im Berliner Velodrom in Szene. Ist die Frau, die Disco braucht, ein Pop-Cyborg aus der Warenwelt?
Diese Plastikflaschen werden lange aufbewahrt. Der Mineralwasserhersteller Evian ist Sponsor der Kylie-Tour und lässt Flaschen beim Konzert verteilen, die einen Kylie-Schriftzug tragen. Im Eingang des ausverkauften Berliner Beton-Velodroms stehen dann auch noch Ford „Kylie Ka“ herum, die würden einige auch am liebsten gleich mitnehmen. Verarscht scheint sich dabei kaum jemand zu fühlen. Lieber richten die Mädchen ihre knappen Tops zurecht, als wollten sie später mit Kylie in einen Oberweitencontest treten. Die Hälfte der Männer hier interessiert das nur gar nicht, und die andere Hälfte versucht selbst nach ewiger Fitness und Jugend auszusehen.
Drin im Betonrund werden derweil die Videoleinwände mit Clips und wiederum Wasserwerbung bespielt. Viele futtern noch einen Hamburger vom Hallen-McDonald’s, deshalb stinkt es ein wenig säuerlich links neben mir.
Kylie Minogue entfährt der Bühnenunterwelt auf einem Podest, zunächst in eine Art Raumfahrercape gehüllt, das wird ihr aber schnell zu eng, und schon steht sie mit wesentlich weniger auf dem verschachtelten Treppenbühnenbau. Ihre Brüste glitzern, ihr Hintern glitzert, ihre Haut glitzert. Zur Unterstützung des Supermodels Kylie kommen Typen in schwarzen Ganzkörperanzügen von der Decke geschwebt. Sie tanzen mit schwarzen Helmen herum. Stehen da schon die Betten mit fast nackten Girls drauf, rechts und links von Kylie?
Die Maschinerie auf der Bühne ist überwältigend. Ein Overkill an Buntheit ergießt sich über uns. Neben den zwei Videowänden an den Seiten, auf denen Kylie den ganzen Abend in Nahaufnahme rumtrippelt und lächelt, gibt's fünf nur für atmosphärische Visuals benutzte Flächen. Hier werden die Songs bebildert: Rote Herzen zerlaufen, Beethoven leuchtet zu Götterfunken-Anklängen, Kerzen flackern und Sonnen gehen unter. Die Choreografen der Show haben sich ein aufwändiges Multi-Media-Musical zusammengebastelt. Miss Minogue verschwindet immer wieder zu Umziehpausen, und in diesen kommt es in Vorbereitung des HipHop- und DJ-Programmteils vollends zur medialen Übergangsinszenierung. Ein Sprayer vergreift sich scheinbar an der Videowand, schüttelt seine imaginäre Farbdose, und es erscheint ein voll elektronisches Graffito, natürlich das Kylie-Warenzeichen K.
Von wegen No Logo. Bei Kylie heißt es Logo à Go-go. Wie um sich ihrer wahrhaftigen Warenhaftigkeit zu versichern, trägt sie mal einen K-Ohrclip, mal mehrere KM-Schweißbänder am Arm. Faszinierend wie Frau K. die Darstellung ihrer Medienperson auch live herstellt: Sie ist da und gleichzeitig ihr Bild. Viele Zuschauer stehen weit vorne und blicken trotzdem auf die Videowand. Authentische Künstlichkeit rules, o.k.!? Unglaublich ist dabei, dass sie tatsächlich auch als Person vorhanden ist. Doch wenn sie auf einen Laufsteg weit ins Volk hineinschlenkert, ist sie trotzdem emotional nie greifbar.
Ist diese Frau letztlich ein Cyborg aus dem Poplabor? Die technische Perfektion der Show hätte früher als Beweis der musikalischen Unfähigkeit der Sängerin gegolten. Hier aber muss nichts überdeckt werden, hier müssen nur Oberflächen perfekt glänzen. Frau K. putzt alles blank, und im Wischeimer hat sie das gute, klare Evian. Auch die Posen der Truppe sind nicht wirklich obszön oder wenigstens lasziv. Dass die meisten Songs langweilige Disconummern sind, macht überhaupt nichts. Bei einem ihrer Catwalks geht kurz das Licht aus. Unsichtbar für die 9.000 Leute nimmt sie einen Schluck – vielleicht Alkohol? – aus einem Becher. Danach geht der Spot an, jemand reicht ihr eine Evianflasche, und sie tut so, als würde sie Wasser trinken. Irre.
ANDREAS BECKER
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