Löwenjagd in Brandenburg und Berlin: Katze entlaufen
Der Speckgürtel von Berlin ist in Aufruhr. Eine Löwin wird im Wald gesichtet. Wo kommt das Tier her? Es gibt viele Fragen, die taz hat sich umgehört.
Die Herkunft
Wie kommt die Löwin nach Kleinmachnow? Da weder Zoos noch Zirkusse die Raubkatze vermissen, spricht viel dafür, dass sie einem Privathalter entwischt ist. Das Halten eines Löwen ist in Deutschland „weder verboten noch reglementiert“, sagt Katharina Lemeter, Kampagnenmanagerin der NGO Pro Wildlife. Als bedrohte Art braucht es lediglich einen Nachweis darüber, dass der Löwe aus einer Nachzucht stammt und nicht aus der Wildnis.
Während einige Bundesländer, darunter auch Berlin, das Halten gefährlicher wildlebender Tiere in Verordnungen geregelt und damit an Bedingungen geknüpft haben, fehlt eine solche Regelung in Brandenburg. Niemand überprüft, ob die Tiere artgerecht gehalten werden – sofern das überhaupt möglich ist –, noch ob die Halter auch zuverlässig sind. Fast könnte man sagen, das hat Tradition. Schon NS-Minister Hermann Göring hielt sich in seinem Anwesen Carinhall in der Schorfheide junge Löwen als Haustiere.
Seit der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag wird in Kleinmachnow und im Süden Berlins eine entlaufene Löwin gesucht. Mit Hubschraubern, Drohnen und Wärmebildkameras sind an die hundert Polizist:innen und Tierärzt:innen auf der Suche. Zuerst hieß es, dass die Löwin sich in Kleinmachnow oder Umgebung aufhalte. Über Warn-Apps wurde die Bevölkerung in den betreffenen Gebieten in der Nacht vor einem gefährlichen freilaufenden Raubtier gewarnt. Den Bewohner:innen der brandenburgischen Gemeinden Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf, südlich von Berlin, wurde geraten, ihre Häuser nicht zu verlassen und Haustiere nicht frei herumlaufen zu lassen. Gegen Mittag kam die Meldung, dass die Löwin nun vermutlich in Richtung Berlin unterwegs ist.
Es ging damit los, dass Augenzeug:innen der Polizei von einer Löwin berichteten, die auf der Jagd nach einem Wildschwein gewesen sein soll. Das war am Mittwoch gegen Mitternacht. Die Zeug:innen übergaben der Polizei Videos, die sie von dem Tier gemacht hatten. Es zeigt, wie die Löwin im Wald verschwindet. Expert:innen bestätigten, dass es sich bei dem Tier wahrscheinlich um eine Löwin handelt. Auch die Polizei sichtete das Wildtier in der Nacht. Zoos, Tierparks oder Zirkusse vermeldeten aber, dass sie keine Löwin vermissen. Nach wie vor ist unklar, wem sie entlaufen ist.
„Uns ist in der Region Kleinmachnow-Teltow-Stahnsdorf von keinem Privatbesitz solch eines Tiers bekannt“, sagte der Bürgermeister von Kleinmachnow, Michael Grubert (SPD), bei einer Pressekonferenz am Donnerstagmittag. Wenn das Tier gefunden wird, soll es betäubt und dem Tierschutz übergeben werden. May Hokan vom WWF warnte vor den Begleiterscheinungen einer möglichen Betäubung durch ein Narkosegewehr: Es könne eine gefährliche Zeitspanne von einigen Minuten geben, in der das Tier noch nicht betäubt sei, aber durch den Pfeil in einen Stresszustand versetzt werden könne.
Am Donnerstagnachmittag teilten die Behörden mit, dass das Tier im Süden von Berlins gesichtet wurde. Das Veterinäramt wurde alarmiert und zum Ort gerufen, wo das Tier aufgetaucht sein soll. Der Königsweg in Zehlendorf wurde möglicherweise vorsorglich weiträumig abgesperrt. Die Polizei teilte gegen 16 Uhr, dass sich das Tier in Zehlendorf befinden könnte. Bis Redaktionsschluss zeigte sich die Löwin nicht erneut. (taz, dpa)
Während sich Göring die Tiere im Zoo auslieh, ist es heute problemlos möglich, sie sich online zu bestellen.
„In Osteuropa werden Löwen relativ viel gezüchtet“, sagt Expertin Lemeter. Ab 2.000 Euro könne man sich ein Tier liefern lassen. Es liegt also nahe, dass es sich um ein skurriles Hobby eher wohlhabender, um nicht zu sagen protziger Personen handelt. Kleinmachnow liegt da als Ort mit einer hohen Dichte Vermögender und vieler Prominenter nahe. Erik Peter
Die neue Nachbarin
Ein Biologe aus Kleinmachnow berichtet, dass die Chatgruppe mit den Nachbar:innen Donnerstagmorgen Alarm geschlagen habe. „Ich bin vorsichtshalber mit dem Auto statt mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Auf dem Weg sind mir sehr viele Polizeiwagen aufgefallen.“ In der Nacht sei laut Anwohner:innen eine Drohne zu hören gewesen, die nach der Ausreißerin suchte. Löwinnenbrüllen sei aber nicht zu vernehmen gewesen. Auf Anhieb kann sich der Biologe niemanden in der Nachbarschaft vorstellen, der sich die Löwin als Schmusekatze gehalten habe. „Auf Zettel an Bäumen, auf denen die entlaufene Katze gesucht wird, warte ich bisher vergeblich“.
Bisher seien ihm in der Gemeinde nur Ameisenlöwen begegnet. Laut Einschätzung des Biologen seien die bis zu 17 Millimeter großen Insekten aber verhältnismäßig ungefährlich. „Normalerweise sehe ich auf der Wildtierkamera in meinem Garten nur Waschbären, Marder oder Wildschweine.“ Er werde das Material der letzten Nacht aber selbstverständlich gründlich auswerten und würde sich über ein Bild der Löwin in seinem Garten sehr freuen.
Kleinmachnow habe durchaus mit einer hohen Wildschweinpopulation zu kämpfen, so der Biologe. Sie würden regelmäßig nachts die Gärten verwüsten und die Tulpenzwiebeln klauen. „Aber ich denke nicht, dass die Kleinmachnower biologische Schädlingsbekämpfung betreiben, indem sie eine Löwin freilassen“. Kajo Roscher
Die Wiederkehr
Die schöne Löwin in Kleinmachnow könnte gut und gerne als Pionierin in freier Wildbahn bleiben. Sie könnte quasi das Haus herrichten für die Zeit nach 2050, wo in und um Berlin laut Klimaforschern an einer Hochschule in Zürich das Klima von Canberra herrschen wird, der Hauptstadt Australiens. Dort wird es in den Sommermonaten immer noch circa 6 Grad heißer als hier. Die Löwin könnte es also den Holzbienen gleichtun, die ebenfalls klimawandelbedingt auf dem Vormarsch sind, lange Zeit nur im Südwesten Deutschlands zuhause waren und heute sogar nördlich von Osnabrück, Hannover und Berlin unterwegs sind.
Doch beim Löwen wäre das keine Wanderung, sondern eine Wiederkehr. Viele, die schon mal am Trafalgar Square in London waren und einen guten Reiseführer dabei hatten, könnten es wissen: Bis vor 10.000 Jahre war Europa nicht etwa ein Eisklotz, sondern die Landschaft ähnelte der afrikanischen Savanne. Durch diese streiften nicht nur Mammuts und Wollhaarnashörner, sondern auch Löwen. In Ungarn und in der Ukraine soll der Löwe sogar erst im dritten Jahrtausend vor Christus sein. Die Wissenschaft geht aufgrund entsprechender Textstellen bei antiken Autoren sogar davon aus, dass der Löwe in Griechenland bis zum ersten Jahrhundert nach Christus ansässig war. Wir müssen der Löwin also nur noch nahelegen, dass sie sich bitte sehr an die ohnehin problematische Wildschwein- und Rotwildpopulation halten möge. Susanne Messmer
Die Vorahnung
War ja klar, dass der große deutsche, 2015 verstorbene Kinderbuchautor Max Kruse das alles schon 1952 vorausgesehen hat. Damals erschien der erste Teil seiner Kinderbuchreihe „Der Löwe ist los“. Der junge Max Kruse hatte gerade die Fabrik seiner Mutter, der Puppenkünstlerin Käthe Kruse, in den Westen übergesiedelt. Anstatt sie aber zu übernehmen, ging er lieber nach München.
Dort gründete er mit Michael Ende, Otfried Preußler und James Krüss eine Art Gruppe 47 der Kinderliteratur. Es ging um nichts Geringeres, als das deutsche Kinderbuch zu entnazifizieren. Kruse zumindest setzte dort an, wo er niemals Nazis vermutet hätte. Er schrieb beispielsweise gegen das Soldatische an („Don Blech“), parodierte Karl May („Lord Schmetterhemd“) und schuf aus lauter Sehnsucht nach seinem verunglückten Sohn das unsterbliche Urmel, einen Dino mit Sprachfehler, dessen Ei im ewigen Eis überlebt hat und von einem ebenfalls sprechenden Ferkel ausgebrütet wird.
Aber schon in „Der Löwe ist los“ lassen sich Ideen erkennen, die vor 1945 so nie gedacht worden wären: Eines Tages vergisst der Tierarzt, den Löwenkäfig zu verriegeln, und der Löwe reißt aus. Alle haben Angst, nur ein paar Kinder freunden sich mit der Raubkatze an. Am Ende schickt der friedliebende Kruse den Löwen nicht etwa zurück in den Zoo, sondern er darf sich auf den Weg zurück nach Afrika machen. Nach einigen Verwicklungen und der Weigerung des Löwen, einen armen Sultan zu fressen, darf er frei in einem Land namens Sultanien bleiben. Susanne Messmer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland