: Lockrufe vom Zuckerhut
Brasiliens Wirtschaft zieht mit hohen Wachstumsraten wieder Kapital ins Land / Neuer Präsident ist Garant für investitionsfreundliches Klima ■ Aus Rio Astrid Prange
Brasilien wird für ausländisches Kapital wieder interessant. Nach dem Sieg der sozialdemokratisch- konservativen Koalition des Fernando Henrique Cardoso bei den Präsidentschaftswahlen am 3. Oktober dieses Jahres rechnen Unternehmer laut einer Umfrage der brasilianischen Tageszeitung Globo in den kommenden drei Jahren mit Investitionen in Höhe von 4,5 Milliarden US-Dollar allein von multinationalen Konzernen. „Es lohnt sich für ausländische Investoren, auf Brasilien zu setzen“, meint Gabriel Buck vom britischen Bankhaus Barclays Bank in Rio.
Im Gegensatz zu dem „Wirtschaftswunder“ der siebziger Jahre, als die Militärs das Land regierten (1964–85), kommen Investitionen heute vornehmlich aus privaten Quellen. „Damals waren die großen Bauvorhaben staatlich, die Regierung kümmerte sich um die Kredite. 1982 schlitterte Brasilien dann in die Schuldenkrise, die Regierung hörte auf zu investieren, gleichzeitig blockierte sie jegliche Privatinitiative“, erklärt James Sinclair von der Morgan Grenfell Bank.
Seit der Finanzierung des Stahlkonzerns „Acominas“ in den siebziger Jahren ist das britische Bankhaus in Brasilien ohne Projekt. Dennoch ist die Bank mit zwei Niederlassungen weiterhin im Lande präsent. „Der Investitionsbedarf ist so groß, daß Brasiliens Regierung auf die Beteiligung privaten Kapitals angewiesen ist“, so Sinclair.
Schätzungen aus Unternehmerkreisen zufolge muß Brasilien in den kommenden 18 Monaten allein in den Energiesektor rund zwölf Milliarden US-Dollar pumpen. Das neugewählte Staatsoberhaupt weiß sehr wohl um die mangelnden Investitionen. In seinem ersten Interview nach der Wahl sprach sich Cardoso für eine Beteiligung ausländischen Kapitals an notwendigen Infrastrukturmaßnahmen aus. „In Brasilien stehen 16 Wasserkraftwerke still. Der Staat hat einfach nicht das Geld für den Betrieb, zumal die Mittel im Gesundheitswesen noch dringender gebraucht werden und die Leute nicht bereit sind, zusätzliche Steuern hinzunehmen“, erklärte der 63jährige.
Generell gehen Unternehmer und Banker davon aus, daß der bereits unter Cardosos Vorgänger Fernando Collor begonnene Öffnungsprozeß Brasiliens nicht mehr rückgängig zu machen ist. „Die Marktöffnung zwingt Brasiliens Firmen zur Modernisierung“, meint John Mein, Direktor der amerikanisch-brasilianischen Handelskammer in Rio, optimistisch.
Barclays-Banker Gabriel Buck ist davon überzeugt, daß abgesehen von dem Abbau der Zollschranken auch die jährlichen Wachstumsraten von über fünf Prozent Brasiliens Unternehmer investitionsfreudiger machen werden. „Die Industrie muß ihre Kapazitäten erhöhen, denn das tut sie schon seit zehn Jahren nicht“, sagt der Engländer.
Euphorisch gibt sich der brasilianische Fiat-Direktor Silvano Valentino. Der italienische Automobilkonzern konnte seinen Umsatz von Januar bis August 1994 im Vergleich zum Vorjahr um 58 Prozent steigern und dürfte das laufende Jahr mit einem Gesamtumsatz von 4,8 Milliarden Dollar abschließen.
Bis 1997 plant Fiat Investitionen in Höhe von 1,2 Milliarden US- Dollar in Brasilien. „Investoren machen ihre Entscheidungen nicht von Wahlergebnissen abhängig“, erklärt Direktor Valentino. Was zähle, seien wirtschaftliche Rahmenbedingungen und – wie im Falle Fiats – der potentielle Bedarf von jährlich fünf Millionen Fahrzeugen auf dem brasilianischen Markt. Im Gegensatz zu Italienern und US-Amerikanern sind deutsche und japanische Geschäftsleute wesentlich zurückhaltender. Brasilien, nach den Vereinigten Staaten und Indonesien in den siebziger Jahren der drittgrößte Invesitionspool der Japaner, ergatterte im vergangenen Jahr gerade mal 419 Millionen Dollar der insgesamt 36 Milliarden von Japan weltweit investierten Dollar.
Bei den Deutschen steht Brasilien als Investitionsobjekt an elfter Stelle. Insgesamt sank Brasiliens Anteil an den weltweiten Auslandsinvestitionen von 6,1 Prozent zwischen 1976 bis 1980 auf 1,1 Prozent im Zeitraum von 1986 bis 1990.
Nach Angaben der brasilianischen Zentralbank verzeichnete die weltweit zehntgrößte Wirtschaftsnation in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Direktinvestitionen in Höhe von zwei Milliarden Dollar. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies zwar eine Steigerung von 430 Prozent. Doch verglichen mit den jährlich acht Milliarden Dollar im mittelamerikanischen Mexiko oder den 20 Milliarden Dollar aus dem Ausland an der brasilianischen Börse, größtenteils Risikokapital, sind die Direktinvestitionen ein Tropfen auf den heißen Stein. Brasiliens Wirtschaftswachstum ist bis jetzt, wenn man die lateinamerikanischen Nachbarn, die die Entwicklung genau verfolgen, mal davon ausnimmt, weitgehend unbeachtet geblieben.
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