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Lockere Schrauben u.a.

Streit ums Tacheles, Streit im Tacheles, und das Vertrauen der Kulturschaffenden ist derzeit nachhaltig erschüttert. Ein Bericht zur Lage  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Mein Gott“, stöhnt Gerd Hunger von SPOTT, „als ob wir nicht gerade schlimmere Probleme hätten! Lassen Sie mich bloß mit dem Tacheles in Ruhe!“ Eigentlich sollte der Mann nicht so reden, schließlich ist er Sprecher des Büros für Freies Theater in Berlin. Und der Theatersaal des Tacheles hat als Spielstätte für freie Gruppen eine wichtige Funktion in der Stadt. Ein wunderbarer, ein Ausnahmeort, für den sich nicht nur die Berliner Off-Szene begeistert. Aber man kann Gerd Hunger verstehen. Nichts als Ärger hat er mit dem Tacheles, und das seit Jahren. Statt die von Finanzsorgen gebeutelten freien Gruppen zu unterstützen, ziehe man sie in interne Querelen hinein.

Früher einmal war die Theatercrew des Tacheles Partner und manchmal auch Koproduzent bei Veranstaltungsreihen wie „Tanz im August“, „Jüdische Lebenswelten“, „Tanzplattform Bagnolet“, „Grenzenlos Berlin–Moskau“ oder auch „Festa Katalana“. Die Außenseiter der Tanz- und Theaterszene waren hier mit eigenwilligen und meist ziemlich spannenden Produktionen zu sehen. Heute ist der Theatersaal vor allem eines: permanent geschlossen. Unzuverlässigkeit und organisatorisches Desaster haben das Vertrauen nicht nur der großen Kulturveranstalter nachhaltig erschüttert.

Vieles ist schiefgelaufen, alles soll besser werden. „Das Tacheles“, sagt Frau Esser, die zuständige Referentin der Kulturverwaltung, „befindet sich in einer Konsolidierungsphase.“ Ein neues Betriebs- und Finanzierungskonzept sowie eine neue inhaltliche Konzeption sind derzeit in Arbeit. Verantwortung und Entscheidungskompetenzen sollen an einzelne delegiert werden, ohne die Basisdemokratie prinzipiell aufzugeben. Aber wird das reichen?

27 Ateliers gibt es im Tacheles. Galeriebetrieb in Fluren und Etagen, zwei Metallwerkstätten, Silkscreen Siebdruck, Schreemech Werkstatt und natürlich den Skulpturenpark auf der Freifläche. Enorme Möglichkeiten also, aber die Zeiten, als Kamerateams aus aller Welt vor der besetzten Ruine Schlange standen, gehören der Vergangenheit an. Heute herrscht das Kunsthandwerk, und die Betreiber nähren sich von einem Ruhm, der ihnen nicht mehr gebührt. Die kreativen Impulse aus der Subkultur sind aus dem Tacheles abgewandert.

So auch die Gruppe Detektor, die unter der Leitung von Mark Johnson eine wilde Mischung aus Tanz, Theater, Performance und Videokunst betreibt. „1992, bei unserem ersten Gastspiel im Tacheles“, sagt die frühere Mitregisseurin Frauke Havemann, „waren an den Podesten die Schrauben nicht richtig angezogen, was wir Gott sei Dank rechtzeitig bemerkten, weil wir das Podest verschieben wollten, das von den Technikern falsch in den Raum gestellt worden war.“ Zu einem größeren Problem wurde dann schon das entschwundene Mischpult. Heute muß man sich um das Mischpult immer noch sorgen, technische Fehler gibt es kaum noch, aber ob die Techniker pünktlich kommen, ob sie überhaupt kommen, kann man vorher nie so recht wissen.

„Chaos“, findet Mark Johnson, „kann manchmal auch inspirierend wirken. Das ist nicht das eigentliche Problem. Das Problem liegt vielmehr in der Einstellung der Tacheles-Leute. Sie fühlen sich von denjenigen, die von außen kommen, ausgenutzt und mißbraucht. Sie verstehen gar nicht, daß ihre eigentliche Aufgabe darin bestehen sollte, eine möglichst angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen.“

Vor zwei Jahren konnte Detektor aufgrund eines Vertragsbruches seitens des Tacheles eine geplante Produktion nicht herausbringen. Als Folge dessen erhielt die Gruppe keine Projektmittelförderung für das kommende Jahr. Jetzt hat die Gruppe selbst eine für Februar im Tacheles geplante Uraufführung abgesagt. „Weil die Theatercrew Detektor nicht wollte. Sie lehnen die Gruppe wegen ihrer Intellektualität ab“, sagt die abgesetzte Leiterin Frederique Desfossez. „Weil Detektor von der ehemaligen Leiterin fälschlicherweise erzählt wurde, RA.M.M. habe hier das Ruder übernommen“, heißt es von der neuen Theaterleiterin, Heike Gäßler. „Weil wir uns auf ein mit Frederique Desfossez schon vereinbartes Gastspiel noch einmal neu bewerben sollten“, sagt Mark Johnson. Wer bei Tacheles-Querelen die Wahrheit herausfinden will, ist rettungslos verloren.

Soviel steht fest: Die bisherige Leiterin, die im organisatorischen Bereich reichlich versagte, ist abgesetzt. Detektor wird sein neues Stück nicht in Berlin, sondern in München präsentieren. Heike Gäßler hat die Leitung des Theaterbereiches übernommen und wird ihr neues Konzept im Laufe der nächsten Wochen der Öffentlichkeit vorstellen. Sie wird viel zu tun haben. Es gilt, das Vertrauen der Berliner Gruppen zurückzugewinnen und abgebrochene Kontakte neu aufzubauen. Und nicht nur das.

Denn das Tacheles krankt nicht nur an falschen Strukturen. Wer in den letzten zwei Jahren eine Tacheles-Premiere besuchte, sah sich mit einer lärmenden, arroganten und selbstzufriedenen Theatercrew konfrontiert, die auf den beiden ersten Sitzreihen Platz nahm und regelrecht eine Mauer zwischen den Künstlern und ihrem Publikum errichtete. Beide, Künstler und Zuschauer, so scheinen die Crew-Mitglieder zu glauben, sind nicht dank ihnen, sondern wegen ihnen hier. Symptomatisch für das gesamte Tacheles- Klima scheint dieses Verhalten zu sein. Unangenehm sei es da und die Leute seien arrogant, finden viele Besucher.

„Wir sind ein offenes Kulturhaus“, sagt Martin Reiter vom Interimsvorstand des Tacheles. Der Fehlentwicklung, daß sich einige dem Tacheles angehörende Künstler in den Ateliers festsetzen, habe man Einhalt geboten. In Zukunft werden die Ateliers nur noch auf Antrag und für eine festgesetzte Zeit vergeben. „Im Musikbereich zeigen sich schon die Erfolge der Umstrukturierungen, die dort früher stattgefunden haben“, sagt Frau Esser. Tatsächlich ist der Musikbereich der einzige, für den sich das Tacheles derzeit nicht zu schämen braucht. Aber ob Optimismus angebracht ist?

Sicher ist es eine Leistung, ein gutes Konzert- oder Kinoprogramm auf die Beine zu stellen. Etwas anderes ist es jedoch, einen Ort zu schaffen, an dem Künstler gerne arbeiten wollen und an dem sie gut arbeiten können. Eine Atmosphäre, in der sich nur die Mitglieder der Gemeinschaft wohl und alle anderen unwohl fühlen, kann dies wohl kaum bieten. Wenn der Verein Mitte März tagt, wird er mehr zu tun haben, als nur einen neuen Vorstand zu wählen.

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