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Lobpreisung verstimmt

■ Wenn nur 30 KirchgängerInnen im Gottesdienst sitzen und singen wollen

Lobpreisung hatte Diakon Havermeier den Gemeindemitgliedern gestern verordnet. Lobet den Herren ließ er die knapp 30 Gottesfürchtigen und 3 Konfirmanden eingangs singen. Ein Leichtes für die OrganistIn, die KirchgängerInnen auf diese wohlbekannte Melodey einzuschwören.

Hell und klar, mit leichtem Gurren in der Stimme, übertönte eine unsichtbare Vorsängerin die Gemeinde vom Balkon herunter. Und bei den übrigen Lobeshymnen wollte es der Orgel einfach nicht mehr glücken, die Stimmen mitzuziehen: Das „Mit Freuden zart“ fiel bis zu seiner letzten Strophe, zum Singt Lob und Dank mit freiem Klang, so sehr ab, daß bei den folgenden Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren! und beim abschließenden Lied Nr. 108 das Bekenntnis trotz allem Heidentum zu preisen und zu loben das Evangelium in Murmeln und lautlosem Lippenspiel erstickte.

Da half auch Havermeiers Einsatz von der Kanzel herunter nicht, um die schrillen C's ältlicher Damen in der letzten Bank zu übertönen.

Unwillkürlich fühlte ich mich an Jean Pauls heimtückischen Orgelschläger Worble erinnert, der eine ganze Kirchengemeinde in ein abgehetztes Singbabel verwandelt hatte: Wenn er nämlich (Originalton Jean Paul) „einen Kirchengesang zu spielen vorbekam, der teilweise bis in die Oktave mit gestrichenen Noten hinaufging: so fing er ihn sogleich in einer Tonart an, die etwa um zwei bis drei Töne höher lag. Anfangs hielt es die Gemeinde auf den mittleren Tonleitersprossen noch gut aus. Darauf aber, wenn die Kreuz -Erhöhungen mit dem musikalischen Doppelkreuze erschienen und der singende Kirchsprengel sich oben auf den obersten Staffeln der Tonleiter versammeln und arbeiten mußte: so brach der Jammer der Kirche los, und ihr wurde sehr zugesetzt. - Einige Bassisten und Tenoristen retteten sich noch notdürftig, daß sie in der Eile sich zu elenden Altisten verschnitten; aber andere kreischten geradezu hinaus oder stürzten sich aus Verzweiflung in die erste beste tiefere Oktave hinab, und oben hingen im Freien ängstliche Fistelstimmen über der Tiefe.“

Vom erbarmungswürdigen Gesang in St. Jakobi derart abgelenkt, ging Havermeiers Predigt nach dem Hebräerbrief Kap. 13 und seine Ermahnung zu Nächstenliebe und Toleranz in den Erinnerungen an Orgelschläger Worble unter - bis vor der Kirchentüre ein jammervoller Alkoholiker mit zwei Taschen voller Bier auf mich zukam: bat, daß man mit ihm rede und für ihn bete, damit er endlich von der Sucht loskomme. „Nach zwei Jahren in Entziehungskuren weiß ich, daß nur er mir hilft“, sagte der Mittvierziger und zeigte nach oben.

Birgitt Rambalski

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