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Loblied auf das RadioBla bla? Bla bla bla!

Das Radio hat eine Zukunft. Denn dem schriftlichen Wort fehlen Dimensionen des Ausdrucks, die allein das gesprochene besitzt.

Aus der Beschränkung des Radios, alles in das gesprochene Wort übertragen zu müssen, erwachsen ihm spezifische Möglichkeiten. Bild: koollook/photocase.com

Es wäre mir nichts lieber, als eine Lobrede auf das Radio zu halten. Während meine Briefmarken mir als Kind und Jugendlicher Wissen über ferne Länder und historische Ereignisse vermittelten, war es das Radio, aus dem ich erfuhr, was aktuell passierte, etwa in der ARD-Bundesligakonferenz, die zu den Höhepunkten meiner Woche gehörte.

Mittlerweile nennt man wohl auch vor allem diese zwanzig Minuten am späten Samstagnachmittag, um zu belegen, dass das Radio nach wie vor ein Live-Medium von gewisser Bedeutung ist. War es für mich lange Zeit nur deshalb noch der Hauptkanal für aktuelle Information geblieben, weil ich keinen Fernseher besitze, so muss ich zugeben, dass mir das Internet heute viel mehr bietet als alle anderen Medien zusammen - und als gerade auch das Radio. Man kann live in Bild und Ton dabei sein, wenn in Ägypten eine Revolution stattfindet oder in Stuttgart Bahnhofsfragen diskutiert werden. So droht das Radio zum Objekt nostalgischer Gefühle zu werden - kaum anders als meine längst aufgegebene Briefmarkensammlung. Und aus der Lobrede wird ein Abgesang.

Oder hat das Radio vielleicht doch noch eine Chance? Schon aus Dankbarkeit würde ich diese Frage nur zu gern bejahen. Und das könnte so gehen: Im Internet erlebt das geschriebene Wort eine Renaissance und vielfältige, originelle Formen der Verwendung. Blogs, Leserkommentare zu Artikeln und Web-2.0-Foren sind zu Orten einer neuen Schriftlichkeit geworden. Zudem kehrt mit dem Mailverkehr eine tot geglaubte Briefkultur zurück.

Dadurch aber stellt gerade das Radio eine - die einzige - Alternative dar. Aus seiner Beschränkung, alles in das gesprochene Wort übertragen zu müssen, erwachsen ihm spezifische Möglichkeiten. Erwähnte ARD-Bundesligakonferenz ist dafür das beste Beispiel: Die Reporter verwandeln das Spielgeschehen live in eine eigenständige Form, verleihen ihm durch ihre Deutung und ihre Emotionen eine reflektierte, pointierte, auch überhöhte Gestalt. Sie leisten, was bei den Griechen in Epos und Schauspiel die Mauerschau - Teichoskopie - erfüllte, übersetzen ein komplexes, gar unverständliches Geschehen, das dem Publikum im selben Augenblick nicht sichtbar ist, in eine anschauliche Sprache.

Wolfgang Ullrich

Der Autor ist Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Dieser Text ist Teil einer Kooperation der taz mit "Mehrspur", dem Medienmagazin des Radiosenders SWR2. Mehr auf: www.swr2.de/dokublog

Das Radio hat also dann eine Zukunft, wenn es mehr Anlässe nutzt, um eine Kultur des gesprochenen Worts zu pflegen. Diskussionsrunden und Streitgespräche sind dafür ebenso geeignet wie jene Sportreportagen oder auch Korrespondentenberichte. Gerade wenn der Live-Charakter nicht darin besteht, ein Geschehen zeitgleich zu kommentieren, sondern sich daraus ergibt, dass verschiedene Positionen wie in einem Parlament ausgetauscht werden, ja weil Stimmen direkt aufeinander reagieren, kann eine Lebendigkeit aufkommen, die das Internet so nicht kennt. Dem schriftlichen Wort fehlen Dimensionen des Ausdrucks, die allein das gesprochene besitzt.

Aber auch gegenüber Talkrunden im Fernsehen sind Radiodiskussionen überlegen, müssen die Teilnehmer hier doch keine Schminke und keine Scheinwerfer ertragen. Dafür können sie sich ganz auf das verlegen, was sie sagen wollen. Damit besitzt das Radio einen Authentizitätsvorteil: Es vermittelt Akte der Spontaneität, emotionale Zwischentöne, gänzlich unartifizielle Sprechweisen. Aber auch das Publikum kann sich beim Radio voll auf das Gesprochene konzentrieren; es ist nicht vom Fernsehbild oder den Multitaskingansprüchen des Internet abgelenkt. Und so führt die Beschränkung, der das Radio unterliegt, auch zu einer Entlastung. Allein deshalb hat es eine Lobrede verdient.

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14 Kommentare

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  • M
    Martin

    Über die Dudelsender ala Ostseewelle oder BBRadio muss ich mich immer wieder aufregen. Wie kann so ein tiefes Niveau Erfolg haben? Sind die Hörer so abgestumpft und oberflächlich, daß sie über einen Markus Jappke lachen können. Das sind Witze für Debile. Wie interessant war Radio in den Achtzigern mit SFB2, Radio4U und BFBS und Radio Luxembourg.

    Oder auch in den Neunzigern mit Thommy Wosch und Jürgen Kuttner.

    Was haben wir jetzt? Überall dröhnt der gleiche Müll. Mal abgesehen von einigen wenigen Perlen. Ich höre nur noch Radioeins oder MotorFM oder ebend Internetradio ByteFM.

  • S
    Stefan

    Den Vorrednern kann ich mich nur anschließen, was das Bedauern über die Qualität der allermeisten Programme betrifft. Ich war früher ein ausgeprägter Radiohörer, angefangen in den 70ern mit WDR2, bei dem ich mich heutzutage aber noch mehr als früher über den mangelnden Substanzanteil ärgere. DLF und WDR5 / NDR Info sind brauchbare Alternativen -- mich von NDR2 freizuhalten mein Guter Vorsatz für 2011, den ich bis jetzt konsequent durchgehalten habe. Aber auch die genannten Sender haben ihre Grenzen, was einerseits die Empfangsqualität bei DRadio, andererseits das mitunter für mich thematisch ungeeignete Programm angeht.

     

    Allerdings: Der Autor macht m. E. einen gravierenden Fehler, wenn er das Multimedium Internet als etwas rein schriftliches ansieht. Ich rede hier gar nicht mal von den Videos bei YouTube & Co., sondern von Audio-Podcasts.

    Die haben bei mir inzwischen zu 90% das Radio als Audio-Medium abgelöst. Es gibt viele Radiobeiträge, die ich auf diese Weise zur mir passenden Zeit hören kann, und außerdem -- und das ist etwas qualitativ Neues -- die frei produzierten Podcasts, die für mich eine echte Bereicherung der Medienlandschaft darstellen.

     

    Also, Tip an alle: einfach mal ein bisschen forschen, was da für Schätze warten.

  • G
    Gerda

    Ach so. Ich höre natürlich gerne von morgens bis abends Deutschlandfunk Köln, Deutschlandradio Kultur, DRadio Wissen (kostenloses monatliches Programm) und ab und zu Inforadio. Früher auch "Multi-Kulti" und JAM FM. Die Musik-TechnikerInnen, die die passenden, interessanten Musikuntermalungen und oft sogar die neuesten Musiktrends auswählen, sind gut und beneidenswert. - Übrigens, das sind meiner Meinung nach auch alles sehr tüchtige und engagierte "Leistungskräfte" bzw. "Facharbeiter"!

  • ER
    Eldo Radio

    Große Übereinstimmung mit dem Autor: Ich habe auch keinen Fernseher (mehr), treibe mich ebenfalls viel im Internet rum und höre mit Begeisterung die Bundesligakonferenz. Letztere ist doch besser als jeder Krimi oder? Apropos Krimi: Die Krimis im Fernsehen konnte ich nicht mehr ertragen, aber so ein altmodisches Krimi-Hörspiel im Radio ist doch was Herrliches. Und überhaupt sind Hörspiele im Radio oft eine Delikatesse. Also ich suche mir aus allen Welten das Beste raus, nur Fernsehen ist nicht mehr dabei. Die Jahrzehnte vor der Glotze haben mich mürbe gemacht. Was für eine gigantische Zeitverschwendung. Und so viel Zeit hab ich nicht mehr.

  • HK
    hd krebs

    Endlich jemand, der die in den Hintergrund getretenen Vorteile des Hörfunks ins Rampenlicht stellt. Nicht nur angesichts des bald eingestellten Deutsche-Welle-Radios bieter der Hörfunk richtig genutzt und gescheiten Journalisten des lebendigen Wortes in Form gebracht keineswegs eindimensionale Aussagen, sondern bildhafte Darstellung (Bundesliga-Konferenz) und unabgelenkte Meinungen (Kommentare und Diskussionen).

    Der Hörfunk ist eben mehr als Blabla zu Dudelmusik, sondern Herausforderungen an journalistische Könner - doch die sind eben selten.

  • J
    Justin

    Radio ist leider sehr eindimensional (nur Ton) und darüber hinaus eine Einbahnstraße (klassische Berieselung).

    In dem Moment, in dem Autos Serienmäßig Internetzugang haben wird das Funk-Radio absterben und die Beitragserstellung und die Verbreitung modernisiert. Die regaktionellen Beiträge im (Privat)Radio sind ohnehin derart geringfügig, dass das Radio zu einer Berieselungsquelle mit immerderselben Fahrstulmusik geworden ist.

  • P
    p3t3r

    da kommt nur RADIO X infrage

     

    Frankfurter Stadtradio ehrenamtlich und ohne werbung und keine mainstream musik

     

    auch als livestream übers internet oder im kabel zufinden

  • D
    duke

    Abgesehen von Radio Eins gibt es bundesweit wirklich keinen brauchbaren Radiosender, abgesehen von den reinen Infosendern wie DLF und Inforadio.

     

    Diese Schwemme an Formatradiosendern (sowohl ÖR als auch privat) ist einfach unerträglich, einen qualifizierten Beitrag zum Tagesgeschehen findet dort ausserhalb der Nachrichten nicht statt. Dazu ist die Musik innerhalb gewisser Altersintervall-Zielbereiche komplett austauschbar.

     

    Der Autor mag mit seinem Artikel also recht haben, wenn er sich auf die weniger als 5% "seriösen" Radiosender bezieht, die grosse Masse ist aber einfach Gehirnfasching auf UKW.

  • IN
    Ihr NameBejot Jacobs

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

    Zu dem kommentar von "von Dr. Schreck"; 15.04.2011, 10:20 Uhr:

     

    Stellen Sie sich einen weiße seite vor. . .

  • D
    deviant

    Radio findet für mich ehrlich gesagt nicht statt, was auch damit zusammenhängt, dass ich mich vor der gespielten Musik grusele - die Musik, die im Radio gespielt wird (werden kann?), ist quasi der dogmatische Gegenentwurf zu der Musik die ich gern höre: Easy-listening vs. komplexe Kompositionen

     

    Ich hab innerhalb der letzten Dekade vermutlich nur eine einzige Radiosendung verfolgt und die habe ich bezeichnenderweise über das Internet heruntergeladen: BBC's World have your say mit Thilo Sarrähzin.

     

    Relevante Debatten scheinen nicht mehr im Radio geführt zu werden, jedenfalls stolpere ich (von jenem Einzelfall abgesehen) nichtmal zufällig über solche Beiträge.

  • M
    markus

    www.ndr.de/info im Livestream

  • KK
    Klaus Konold

    Mein Kommentar:

    Deutschlandfunk

  • G
    Gerda

    Ach, das sind ja ganz neue "Töne", die da mitschwingen! Prima. Meine (fast) volle Zustimmung!

     

    Habe mir mutig einen Zwischenruf auf dem taz-Medienkongreß erlaubt, daß bei der gesamten Diskussion mit Moderaor Jakob Augstein vom "Freitag" über "Wem gehört der Journalismus" eine Art des Journalismus fehlt und unbeachtet blieb: der Journalismus im Radio!

    (Oder war das beim Thema "Raumschiff Berlin" mit Gordon Repinski und Sabine Adler vom Deutschlandfunk Köln? Egal.)

    Jedenfalls habe ich dadurch erfahren und gelernt, was unter "Kollektiver Intelligenz" zu verstehen ist und was "Wohnzimmerkreise" sind. Dazu gehören nämlich auch JournalistInnen, die über das Radio ihre Berichte in die Welt senden und sich garantiert auch in "Wohnzimmerkreisen" aufhalten.

     

    Ich jedenfalls möchte das Medium Radio nicht missen und bewerte es nach wie vor als bereicherndes Medium, weil alle Sinne angesprochen werden und innere Bilder produziert werden. Wie auch beim Lesen und Knistern einer Zeitung oder beim Buch, in die/das ich Anmerkungen machen kann, wie ich will und was mir beim Lesen in den Sinn kommt. Jedes Medium hat seinen eigenen Reiz und seine eigene Berechtigung. Auch und gerade in Internetzeiten.

  • DS
    Dr. Schreck

    Wenn jetzt dieses unerträgliche Formatradio noch ein Programm hätte, das es wert wäre gehört zu werden, wenn es seine unerträglichen Morningshow-Moderatoren mit ihrem geheuchelten Gute-Laune-Geschreie absetzen und auch mal eine andere Musik als Phil Collins spielen würde, wenn dieser gleichgeschaltete, stromlinienförmige Müll also endlich mal ein Minimum an Niveau kriegen würde, könnte man vielleicht in diese Lobeshymne mit einfallen.

     

    So aber muß ich sagen: Das Radio jenseits von Klassiksendern, dem Verkehrsfunk und D-Radio ist ein unerträglicher, vollkommen niveauloser Müll ohne eine Spur Mut, Individualität und Geschmack. Da hilft auch die Bundesligakonferenz nix mehr.

     

    Und das sagt einer wie ich, der ich meine Abende vor dem Privatfernsehen verbringe und mieses Niveau durchaus goutieren kann...