Lobbyismus von EU-Kommissaren: Kommissar Cash
Das EU-Parlament und Lobbykontrollorganisationen fordern eine längere Auszeit für ehemalige EU-Kommissare. Aktuelle Beispiele zeigen: Das wäre bitter nötig.
Von der Webseite der Potsdamer Beratungsfirma European Experience Company lächeln zwei Gesichter, die auch schon mal als heimliches Liebespaar die Titelseite der Bild-Zeitung zierten: Professor Günter Verheugen und Dr. Petra Erler - der ausgeschiedene EU-Kommissar für Industriepolitik und seine Kabinettschefin - bieten potenziellen Kunden ihres Beratungsinstituts "die richtige Strategie für Ihren Erfolg im Umgang mit europäischen Institutionen."
Die Art, wie Expolitiker ihre Kontakte aus der Amtszeit für die weitere berufliche Karriere nutzen, sorgt immer wieder für öffentliche Aufregung. Gerhard Schröders Wechsel zum russischen Energieriesen Gazprom ist dafür ein prominentes Beispiel. Doch die Abwägung im Einzelfall ist schwierig. "Ich weiß wirklich nicht, was das Europaparlament will", sagt Günter Verheugen ärgerlich zur taz. Anspielend auf den Vorschlag der Haushaltspolitikerin Inge Gräßle, die ein Berufsverbot von 18 Monaten bei voller Fortzahlung der Kommissarsbezüge vorschlägt (siehe Interview), sagt er: "Die können doch nicht ernsthaft fordern, dass uns der Steuerzahler alimentiert. Wie wollen Sie gute Leute für die Politik finden, wenn die anschließend zum Sozialfall werden."
In jedem anderen Beruf sei es erlaubt und erwünscht, die Lebenserfahrung einzusetzen, um einen besseren Job zu bekommen. Nur Politiker dürften das nicht. Der Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken und die Türkische Handelskammer hätten ihn als Berater engagiert, weil er über 40 Jahre Lebenserfahrung in internationaler Politik verfüge, nicht wegen seiner zehnjährigen Tätigkeit als Erweiterungs- und Industriekommissar in Brüssel. Der Royal Bank of Scotland erkläre er, "wie sich eine Großbank am besten einstellt auf die neuen Finanzmarktregeln". Bei der Lobbyfirma Fleishman Hillard werde er dafür bezahlt, Reden über Europa zu halten. "Jede Art von Lobbying ist in meinem Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen."
Die bezahlten Beraterjobs hat Verheugen der EU-Kommission gemeldet und genehmigen lassen, wie die Behörde kürzlich auf eine parlamentarische Anfrage hin bestätigte. Die Gründung der European Experience Company im April hingegen falle nicht unter die Meldepflicht, er sei nur ehrenamtlicher Geschäftsführer und bekomme "keinen müden Euro". Ein Sprecher der EU-Kommission hingegen betonte, dass sehr wohl geprüft werde, ob Verheugens Tätigkeit als Geschäftsführer einer Consultingfirma mit der Selbstbeschränkung vereinbar ist, zu der sich jeder ausscheidende Kommissar verpflichten muss.
Nach dem derzeit gültigen Verhaltenskodex müssen ausgeschiedene EU-Kommissare ein Jahr lang ihre neuen Tätigkeiten nach Brüssel melden. Besteht zwischen dem neuen Job und der Kommissarstätigkeit ein inhaltlicher Zusammenhang, entscheidet ein dreiköpfiges Ethikkomitee, ob sich der Betreffende "bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile ehrenhaft und zurückhaltend" verhalten hat. Der Bericht des Komitees wird vertraulich behandelt. Theoretisch kann er dazu führen, dass einem Exkommissar die Pensionsansprüche gestrichen werden. Bislang aber hat das Komitee nur einmal einen Interessenkonflikt feststellen können. Ende August erklärte es, der Beratervertrag von Exbinnenmarktkommissar Charlie McCreevy mit der Investmentfirma NBNK sei nicht akzeptabel, da der Ire im neuen Job Insiderwissen aus seiner Kommissarszeit der Firma zugänglich machen könne. NBNK handelt mit sogenannten toxischen Wertpapieren.
Dennoch stellte sich McCreevy zunächst stur. Erst vergangenen Mittwoch trat er von dem Beratervertrag zurück. Erstaunlich ist, dass bislang das Ethikkomitee nie ein Problem erkennen konnte. Wenn Verheugen als ehemaliger Erweiterungskommissar die Türkische Handelskammer berät oder als ehemaliger Industriekommissar einer Großbank Tipps im Umgang mit EU-Gesetzen gibt, dann wird er nicht für seine Reden über Europa bezahlt. Wenn der ehemalige Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy Ryanair berät, dann interessieren sich seine Auftraggeber für Insiderwissen aus dem Binnenmarktressort und für Kontakte mit den Brüsseler Beamten, die die Weichen für die Gesetzgebung stellen.
"Kommissionspräsident José Barroso hat schon vor mehr als einem Jahr versprochen, den Verhaltenskodex zu überarbeiten. Die Skandale häufen sich und zeigen, dass die Kommission diese Reform nicht länger aufschieben darf", fordert Nina Katzemich von der Lobbykontrollinitiative ALTER-EU. Um für die Zukunft Interessenkonflikte auszuschließen, fordert ALTER-EU eine Karenzphase von drei Jahren, in der Exkommissare in der Privatwirtschaft keine Tätigkeiten übernehmen dürfen, die mit Lobbyismus oder Lobbyberatung in Verbindung stehen.
Die EU-Haushaltspolitikerin Inge Gräßle will, dass der neue Kodex auch regelt, unter welchen Bedingungen Exkommissare Übergangsgeld erhalten und wie mehrere Pensionsansprüche miteinander verrechnet werden. Danuta Hübner und Louis Michel, beide Mitglieder der letzten Barroso-Kommission, sitzen seit Juni 2009 als Abgeordnete im EU-Parlament. Dennoch laufen ihre Übergangszahlungen, die ja eigentlich für die Phase der Jobsuche gedacht sind, zusätzlich zu den Parlamentsbezügen weiter. Der juristische Dienst der EU-Kommission hat die Fälle geprüft und mit dem geltenden Recht als vereinbar befunden.
Die EU-Kommission hatte eigentlich bis zum Sommer einen Entwurf für einen neuen Verhaltenskodex vorlegen wollen. Die aktuellen Beispiele zeigen, wie schwierig es ist, jeden Einzelfall im Gesetz vorherzusehen und angemessen zu regeln. Wie es aussieht, reicht es nicht, darauf zu vertrauen, dass die Betroffenen selbst Interessenkonflikte erkennen und vermeiden.
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